SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

04SEP2019
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Mein Hund hat eine Eigenschaft, um die ich ihn sehr beneide. Er kann sich schütteln. Sein ganzer Körper bewegt sich dann vom Kopf bis zu den Pfoten. Jedes einzelne Haar scheint sich zu sträuben, um wieder dorthin zu kommen, wo es hingehört. Was mich aber dabei beeindruckt, ist nicht das, was der Hundekörper macht. Sondern: Mit diesem alles umfassenden Schütteln legt mein Hund weg, was vorher war. Er schüttelt das buchstäblich alles ab. Es ist in etwa so, wie wenn wir beim System eines Geräts einen Neustart durchführen, die Reset-Taste drücken. Das Gerät ist dann wieder im Auslieferungszustand und bereit, von neuem seinen Dienst aufzunehmen, sein Bestes zu geben.

Mein Hund ist ein Terrier. Er kann wie alle Terrier manchmal recht dickschädelig sein. Er kommt nicht, wenn ich ihn rufe. Er bellt, wenn er nicht soll. Er will unbedingt Ball spielen, aber ich will gerade nicht. Dann gibt es auch mal ein strenges Wort oder einen Griff ans Ohr. Antiautoritäre Erziehung funktioniert bei Terriern nicht. Aber genau diese Strenge von mir, wenn es in einer Situation mal heftig zugeht, die kann er fast unmittelbar danach wieder abgeben. Dann ist der ganze Hund auf einmal ein einziges Schütteln. Und alles ist wieder gut. Vorbei, vergessen. Alles in Ordnung zwischen ihm und mir. Denn mir hilft das auch, wenn ich sehe, dass seine Rute nach oben zeigt. Es wäre ja was ganz anderes, wenn er sich unterwerfen oder verschreckt in eine Ecke zurückziehen würde. Nein, ein kräftiges Schütteln und gut ist’s, es kann weitergehen. Wir sind wieder ein Team.

Ich weiß schon: Unter Menschen ist das oft anders. Es ist dann besser, einen Streit erst einmal auszuhalten und nicht sofort wieder zur Tagesordnung überzugehen. Aus einem Konflikt kann ich lernen, und es in Zukunft anders machen. Ich sehe mich selbst und andere auch nicht in der Rolle eines Hundes, der zu gehorchen hat. Und doch wäre es manchmal praktisch, einen Streit, einen Ärger einfach zu vergessen, ihm nicht zu viel Gewicht zu geben. Stattdessen sicher zu sein: Auf das Grundsätzliche kann ich mich verlassen. Mein Gegenüber meint es nicht böse mit mir. Diesmal waren wir halt nicht auf der gleichen Wellenlänge, aber das ist nicht so schlimm. Vor allem: Es nützt nichts, wenn ich nachtragend bin. Womöglich geht so auch das Vergeben leichter, wenn ich mich innerlich schüttle, den Ärger abschüttle. Immer und immer wieder. Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzig Mal[1], wie Jesus es verlangt. Dann wird aus dem Schütteln fast eine christliche Tugend.



[1] Matthäus 18,21f.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29301
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