SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

03SEP2019
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Verleih’ uns Frieden gnädiglich. Die Evangelische Stiftskirche in Tübingen spielt jeden Mittag um fünf vor zwölf die Melodie eines christlichen Chorals. Besser gesagt: Sie läutet die Melodie mit ihren Glocken. An manchen Tagen ist es die von: Verleih uns Frieden gnädiglich. Das ereignet sich mitten in der Stadt. Im Trubel des Marktes und der vielen Touristen, die oft dort unterwegs sind. Es ist weithin zu hören. Neben dem vielen Lärm und der Unruhe, die oft stört, tönen dann die Glocken und spielen die schöne Melodie. Allerdings ist sie nicht nur schön, sondern sie bedeutet auch etwas. Es ist die dringende Bitte, dass Gott Frieden schafft. Wer den Choral hört und kennt, kann sich die Bitte zu eigen machen und im Inneren mitbeten. Gott traue ich zu, dass er etwas kann, was wir Menschen nie ganz fertig bringen: dass Frieden werde unter uns.

Der Choral Verleih uns Frieden gnädiglich ist alt. Martin Luther hat ihn 1527 gedichtet. Seine Botschaft war damals für Luther aktuell, wie sie es für uns heute ist. Es ist schwer Frieden zu halten. Es gibt so viele Gelegenheiten, sich über jemanden zu ärgern, einen Streit anzufangen. Wenn dann ein Wort das andere gibt, dann ist’s um den Frieden geschehen. In der Weltpolitik erleben wir gerade, was passiert, wenn die Politiker einander misstrauen. Dann werden die Atomwaffensperrverträge ignoriert und es beginnt ein neues Wettrüsten. Statt miteinander zu sprechen, richtet man Raketen aufeinander. Statt zu beschwichtigen, lässt man die Muskeln spielen.

Frieden ist ein hohes Gut. Und: Er ist immer in Gefahr. Deshalb muss man etwas für ihn tun. Jeder kann das. Wo ich wohne, pflegen wir beispielsweise eine gute Nachbarschaft. Ganz bewusst, weil es uns wichtig ist und weil wir die vielen Beispiele kennen, wo das nicht funktioniert. Wir achten auf den anderen. Wir sprechen immer ein paar Worte miteinander, wenn wir uns sehen. Einmal im Jahr veranstalten wir ein Nachbarschaftsfest und hin und wieder laden wir uns zum Essen oder auf ein Glas Wein ein. Wir haben einen Zaun, aber der ist kein unüberwindliches Hindernis. Trotzdem und bei allem guten Willen. Es bleibt ein Rest, den wir nicht machen können. Da bin ich dann froh, wenn ich den alten Choral in der Stadt höre und mich - aufgehoben in den Klängen der Glocken – Gott anvertraue: Hilf Du mit, dass wir zusammenhalten. Schaffe Vertrauen unter den vielen unterschiedlichen Menschen in unserer Stadt. Lass meinen Mund so sprechen und führe meine Hände so, dass sie dem Frieden dienen. Und lass meinen Fuß den ersten Schritt machen, wenn Versöhnung nötig ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29300
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