Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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30AUG2019
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Ein kurzer Lichtstrahl der Taschenlampe - ein schneller Griff in den Abfalleimer: Wieder eine Pfandflasche ergattert! Diese Szene erlebe ich öfter in der Hauptstraße, wenn ich spätabends noch einen Spaziergang durch die Stadt mache. 

Meist sind es ältere Leute, dabei viele Frauen, die ihr Fahrrad von Mülleimer zu Mülleimer schieben. Die Ausbeute ihrer Suche verstauen sie in großen Plastiktaschen: Pfandflaschen und Pfanddosen, die Touristen und Einheimische weggeworfen haben. Da kommt einiges zusammen. Gottseidank. Denn offensichtlich sind die Sammler auf das Pfand angewiesen – sonst würden sie nicht auf die Suche danach gehen. 

Mehr oder weniger verschämt greifen sie nach den Pfandflaschen. Am liebsten wäre es ihnen wohl, wenn es niemand mitbekommt. Wer zeigt dem anderen denn gerne, dass er so bedürftig oder gar arm ist?! Das kratzt doch an der eigenen Würde. 

Mir geht es nach, wenn ich Pfandflaschen-Sammler sehe. Ich schicke dann ein kurzes Fürbittgebet für sie zum Himmel. Ich kann ihre persönliche Situation nicht ändern. Aber ich fühle mit, wie es ihnen innerlich wohl geht. Und ich hoffe, dass dadurch mein Blick geschärft wird für die Menschen in unserer Gesellschaft, die bedürftig und arm sind – die dadurch an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Immer mehr in Deutschland geht es so. 

Die Pfandflaschen-Sammler werfen einen Schatten auf eine Gesellschaft, in der die Reichen immer reicher werden und zugleich immer mehr Menschen verarmen. Das hat ganz verschiedene Gründe, die z.T. auch bei den Betroffenen liegen. Aber dass immer mehr Menschen es nötig haben, Pfandflaschen zu sammeln oder gar zu „containern“, das ist für mich ein Symptom dafür, dass hier in unserer Gesellschaft etwas nicht mehr stimmt. Es ist auch eine Frage an uns alle, ob wir einen Blick für die Würde des Einzelnen haben und diese fördern, ob etwas für die notwendige soziale Gerechtigkeit getan wird, für eine gerechtere Verteilung der Lebenschancen. Hier braut sich Sprengstoff für den sozialen Frieden zusammen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29297
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