SWR2 Wort zum Tag

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Ein Mal im Jahr gehe ich auf „Motorradwallfahrt“. Meistens sind wir um die 30 Biker, die zwei Dinge verbinden: die Leidenschaft fürs Motorradfahren und die Liebe zu Gott. Wir suchen tolle Strecken fürs Motorrad aus, aber wir beten auch gemeinsam, wir sprechen über Werte und spirituelle Erfahrungen und wir können auch ganz still sein. 

Die Motorradwallfahrt hat uns schon in manches Land geführt: Italien, Tschechien oder Irland. Aber wir waren auch schon in Deutschland unterwegs, quer durch Sachsen-Anhalt und Thüringen zum Beispiel. Das Motto dieser Wallfahrt hieß: „Auf dem Weg zur Mitte“. Gemeint war einerseits die Mitte Deutschlands, aber auch die eigene Mitte. Die eigene Mitte finden, das wollen viele, ist aber gar nicht so leicht. 

Irgendwann haben wir auf unserer Tour im Kloster Helfta bei Eisleben übernachtet. Es war schon ein krasser Gegensatz wie die laute Motorradkolonne in den beschaulichen Klosterhof eingefahren ist. Im Garten des Klosters ist ein großes begehbares Labyrinth angepflanzt, das wir am nächsten Tag erkundet haben. In aller Stille habe ich es durchschritten. Immer mit den Fragen im Kopf, wo ich einmal hin möchte, wie nahe ich meinem Ziel gerade bin, welche Umwege ich schon genommen habe. Ich glaube, damit war ich ganz nah an den Fragen dran, die zur seelischen Mitte führen: Wer bin ich und was macht mich aus? Wer will ich sein und wie schaffe ich das? In der Ruhe des Labyrinthes ist mir einiges aufgegangen. Ich habe zum Beispiel gemerkt: vor einem neuen Lebensabschnitt stand immer eine Krise: Ein Berufswunsch hat zum Beispiel nicht hingehauen – und genau das hat mich zu dem geführt, was ich jetzt so gerne tue. In der Mitte des Labyrinths war ich um einige Aha-Effekte reicher. 

Am Ende unserer Wallfahrt ist unser Leiter, der normalerweise vorausfährt, plötzlich in ein kleines Sträßchen abgebogen, kurz vor der Gemeinde Niederorla mitten in der Pampa. Wir haben uns alle gewundert, was das wohl gibt. An einer großen Linde hat er angehalten. Daneben stand ein Gedenkstein darauf stand: „Dies ist die geographische Mitte Deutschlands.“  

Viele von uns hatten ein bisschen Gänsehaut. Immerhin waren wir eine Woche lang auf der Suche gewesen - kreuz und quer durch Mitteldeutschland. Und vielen ist klar geworden: Die Mitte zu finden ist gar nicht so leicht, es kann eine Weile dauern. Aber wenn man sie hat, dann ist es ein tolles Gefühl: endlich angekommen.

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