SWR3 Gedanken

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08AUG2019
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Die Zaunwinde ist eine revolutionäre Blume, finde ich. Vielleicht haben Sie sie ja schon irgendwo mal gesehen: Ihre großen Blüten sind weiß und haben die Form von einem Trichter. Sie wächst vor allem an Hecken und Zäunen. An denen klettern ihre langen Ranken hoch. Ihre herzförmigen Blätter überwuchern dann alles ziemlich schnell.

 

Was mir so gut an der Zaunwinde gefällt ist, dass sie meistens da wächst, wo erstmal kein Durchkommen ist: An Zäunen oder Absperrgittern. Die verziert sie dann ganz frech mit ihren weißen Blüten. Ich finde damit wirkt sie eben ein bisschen revolutionär: Sie klettert überall hoch und hisst ihre kleinen weißen Fähnchen, die so ähnlich wie Lautsprecher aussehen. So als wollte sie fragen: Schonmal dran gedacht, dass es vielleicht auch ohne diese Absperrung geht? Schau mal, wie viel schöner es aussähe, wenn hier statt dem grauen Zaun bunte Blumen stehen würden…

Genauso wie die Zaunwinde brauche ich natürlich auch Grenzen, damit ich gut leben kann. Mein Körper ist zum Beispiel eine Grenze und ich entscheide, wer wie nah da dran darf.

Andererseits gibt es überall so viele Zäune, so viele Hochsicherheitsbereiche, dass ich mich frage: Braucht es das wirklich für ein gutes Miteinander? In Freiburg habe ich an Hauswänden oft den Graffiti-Spruch gesehen: „Freiheit stirbt mit Sicherheit“. Und ich glaube, da ist etwas dran. Ich mag Orte, an denen Menschen zusammen kommen können ohne dass vornedran jemand von der Security steht.

An Grenzen entscheidet sich, wie wir mit den Themen Sicherheit und Freiheit umgehen: Machen wir dicht, oder bleiben wir durchlässig? Die Zaunwinde, so finde ich, ist ein Statement dafür, wieder durchlässiger zu werden – für alles.

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