SWR4 Abendgedanken

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12AUG2019
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Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. (Ps 18,30) Dieser Satz aus der Bibel ist mir eingefallen, weil morgen am 13. August der Tag des Mauerbaus begangen wird. Am 13. August 1961 hat man in Berlin mit dem Bau einer Mauer zwischen Ost und West begonnen. Für die nächsten 28 Jahre war die Spaltung Deutschlands damit zementiert; die Mauer wurde weltweit zum Symbol für den kalten Krieg. Ich war noch ein Kind damals und habe erst viele Jahre später gelernt, dass diese Mauer einen traurigen Zustand festgeschrieben hat: die Spaltung einer Stadt und eines ganzen Volks, ja sogar Europas. Familien wurden auseinander gerissen. Man durfte Eltern und Geschwister im Osten nicht besuchen. Die Post wurde kontrolliert. Die Menschen im Osten durften nicht ausreisen. Wer zu fliehen versuchte, wurde eingesperrt oder auf der Flucht erschossen.
Für mich als Kind war das unvorstellbar und wahrscheinlich für die meisten Erwachsenen auch.

Im Rückblick hat man wohl als besonders absurd empfunden, dass zwei Monate zuvor der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht in einer Pressekonferenz sogar behauptet hat, dass das nicht geschehen wird. „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen.“ Dieser Satz ist inzwischen oft wiederholt worden. Er ist ein Symbol auch für Lüge und Machtmissbrauch in der Politik.

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Wer so redet, der hat die Erfahrung gemacht, dass Gott ihm Kraft und Mut gibt. Die hat man damals gebraucht. Kraft und Mut, um Dinge zu tun oder zu denken, die auf den ersten Blick schwierig oder fast unmöglich sind. Es geht dabei nicht nur um Mauern aus Stein sondern auch um Mauern, die einer um seine Seele errichtet hat.

Bei der Mauer in Berlin hat es zum Glück immer Menschen gegeben, die diese Mauer absurd fanden. Sie haben dafür gearbeitet, die Mauer zu überwinden. Mit großem Mut und mit aller Kraft. Sie haben gebetet und demonstriert. Aber es hat 28 Jahre gedauert, bis das geschafft war. Weil es ja nicht nur darum gegangen ist, ein paar Steine niederzureißen. Vorher mussten die Mauern in den Köpfen abgebaut werden. Gottseidank finden Menschen immer wieder den Mut und den Schwung, sich mit absurden Mauern nicht abzufinden!

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