SWR4 Abendgedanken

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Shinrinyoku. Das ist japanisch und bedeutet soviel wie: „Baden in der Atmosphäre des Waldes“. Und Baden meint hier nicht mit Bikini oder Badehose in einen Waldsee steigen. Shinrinyoku ist langsames Schlendern durch den Wald. Absichtlos und aufmerksam. Mit viel Zeit und ohne Ziel. In Deutschland kann man sich seit kurzem zum Kursleiter für Waldbaden ausbilden lassen. Wozu das denn? Habe ich mich gefragt, als ich zum ersten Mal davon gehört habe. Noch so ein esoterisch angehauchtes Angebot, um zu sich selbst zu finden? 

Doch ich bin neugierig geworden. Denn in Japan und Südkorea ist Waldbaden Medizin. Wissenschaftler untersuchen dort den Einfluss des Waldes auf die Gesundheit der Menschen. Und sie können tatsächlich etwas feststellen: Blutdruck und Puls sinken, das Stresshormon Kortisol wird abgebaut und das Immunsystem wird durch neue Abwehrzellen gestärkt. In Japan allerdings wachsen in den teils subtropischen Wäldern ganz andere Gehölze als hier. Ob unsere Eichen-, Buchen- oder Kiefernwälder denselben Effekt haben, wird derzeit erst noch erforscht.

Ich habe einen Selbstversuch gewagt und bin mit dem Rad zum nächsten Wald gefahren. Noch nie bin ich langsam und ohne Ziel durch den Wald geschlendert. Entweder bin ich flotten Schrittes gewandert oder den Kindern hinterhergesprungen.

Um es gleich zu sagen: Das Waldbad werde ich nochmals wiederholen. Aber dann an einem Ort, an dem kein Flug- oder Autolärm bis ins Innere des Waldes dringt. Und mit mehr Zeit als nur 90 Minuten zwischen zwei Terminen. Und dennoch: ich habe jetzt eine Ahnung davon, was möglich ist. Dafür hat es allemal gereicht: Ich bin sehr langsam gelaufen, das ist zunächst gar nicht so einfach gewesen, ich habe mich dazu zwingen müssen.  Dann erst hatte ich den Blick für die Dinge neben dem Weg: Brennnesseln größer als ich und unglaublich viele verschiedene, ganz junge Bäume, die mitten aus dem Totholz wachsen. Im Wald geht Vergänglichkeit direkt in neues Leben über – so klar habe ich das bislang nicht wahrgenommen. Und nach einer Stunde hat mich auf einmal die Fantasie überfallen: Eine Baumrinde sieht aus wie junge Elefantenhaut, die andere erinnert an einen kräftigen, dornigen Rosenzweig. In den Baumpilzen auf einem vermoosten Stamm sehe ich Austern am Meer.

Im Abendlicht habe ich fotografiert, wie unterschiedlich die Bäume gezeichnet sind; und diese Eindrücke habe ich mit nach Hause genommen.

Was auch immer die Wissenschaft herausfinden wird: In diesen Sommertagen würde ich auf jeden Fall den Wald einem überfüllten Schwimmbad vorziehen. Wie die heilige Hildegard von Bingen, die gesagt hat: „Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit, und diese ist grün“.

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