Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Ein Freund geht in den Ruhestand. Das macht ihn völlig fertig. Monate vorher höre ich ihn schon Sätze sagen, wie: „Ja, und dann werde ich mir wohl mein eigenes Grab schaufeln.“
Das beobachte ich bei vielen Leuten, die an ihrem Beruf hängen: sie würden fast alles dafür geben, länger zu arbeiten.

Was macht es eigentlich so schwer, sich aus dem Berufsleben zu verabschieden?
Ich glaube, es ist - neben vielen anderen Dingen - eine Frage der Wertschätzung. Denn ganz allgemein bekommt derjenige in unserem Land die meiste Anerken-nung, der sich im Arbeitsprozess befindet und der Gesellschaft ohne Frage etwas nutzt.
Wer aus diesem Prozess rausfällt, den beschleicht schnell das Gefühl, keinen großen Wert mehr zu haben.

Kürzlich habe ich ein Mädchen im Krankenhaus besucht.
Sie sagt: „Ich bin nichts wert; ich verursache nur Kosten.“
„Das stimmt nicht“, antworte ich, „und du weißt das.“
Sie sieht mich überrascht an.
„Na, überleg mal: für wen bist du wichtig?“
Ein paar Namen fallen ihr sofort ein; andere kommen zögerlich. Nach einer Weile haben wir jedenfalls eine kleine Liste beisammen. Ja, sie entdeckt sogar, dass sie selbst für ihre Mutter wichtig sein dürfte, auch wenn sie sich nur mit ihr streitet und sie manchmal wirklich hasst. „…aber fehlen würde ich ihr, da bin ich mir sicher.“

Sie sieht mich nachdenklich an:
„Ist das denn so: bin ich soviel wert, wie ich anderen etwas bedeute?“
„Nicht ganz. Ich sehe das so: In der Liebe, die dir da entgegenkommt, begegnet dir auch Gottes Liebe. Und die ist auch noch da, wenn die Liebe der anderen nicht mehr da ist.
Egal, was die anderen von dir halten, für Gott bist du in jedem Fall wichtig. Er hat dir ja dein Leben geschenkt. Und er sagt zu dir – und auch zu mir – Du bist wertvoll in meinen Augen und ich habe dich lieb.“

Sie lehnt sich zurück in ihr Kissen. „Das ist schön“, sagt sie und lächelt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2914
weiterlesen...