SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Es ginge vieles besser, wenn man mehr ginge“, sagt ein Sprichwort. Mir gefällt das. Gehen ist für mich praktische Lebensphilosophie. „Sich auf den Weg machen“, „einen ersten Schritt wagen und dann Schritt für Schritt weitergehen“ – diese Redewendungen wissen um die Kraft, die im Gehen liegt.

Uns Menschen ist der aufrechte Gang eigen, das unterscheidet uns von den Tieren. Im Laufe der Evolution hat sich der Mensch aufgerichtet und dadurch eine neue Perspektive bekommen. Er kann nicht nur das Naheliegende um sich herum wahrnehmen– er kann seinen Blick zum Horizont richten, das Ganze in den Blick nehmen und darin einen Sinn suchen.

Das althochdeutsche Wort „Sinan“, von dem sich unser „Sinn“ ableitet, bedeutete ursprünglich Weg und Reise. Der Weg führt uns zum Sinn. Die befreiende Wirkung des Gehens liegt ja darin, dass sich der Blick wieder weitet und wir so neue Perspektiven bekommen.

Im jüdisch-christlichen Glauben spielt das Gehen eine große Rolle. Das ganze alte Testament durchzieht ein Grundmotiv: „Brich auf, zieh weg, mach dich auf den Weg.“ Darin spiegelt sich darin die Lebenserfahrung von Nomaden, die mit ihren Tieren immer unterwegs waren nach neuen Weidegründen. Aber auch als die Israeliten längst sesshaft geworden waren, erzählten sie sich die alten Geschichten von ihrem Stammvater Abraham, der alles zurückgelassen hatte, um auf Gottes Verheißung hin in ein neues Land zu ziehen.

Das Alte zurücklassen, um neue Horizonte zu entdecken. Darum geht es im Glauben.  Viele Menschen  entdecken das heute  wieder beim Pilgern: Pilgern ist Beten mit den Füssen. Mich einem Weg anvertrauen, auch wenn er mal anstrengend wird. Die Ausblicke genießen und dabei den eigenen Horizont weiten. Weggefährten haben. Beim Pilgern kommt mein Leben als Ganzes in den Blick: Wohin führt mich meine Lebensreise? Bin ich auf dem richtigen Weg? Woran kann ich mich orientieren?

Das gilt nicht nur für den Einzelnen. Auch die Kirche als Ganze muss sich immer wieder auf den Weg machen und fragen, was heute ihr Auftrag ist. Und dabei auch mutig neue Wege ausprobieren. „Es ginge vieles besser, wenn man mehr ginge.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29105
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