Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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31JUL2019
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Es waren starke Worte, die der Bundespräsident gefunden hat, nachdem der Politiker Walter Lübcke ermordet worden ist: „Zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig.“ Und es waren genau die richtigen Worte, denn wie sonst soll man Jubel nennen, angesichts eines Mordes. In jeder Hinsicht widerwärtig eben. Ich hoffe sehr, dass seine starken Worte etwas ändern. Trotzdem bin ich skeptisch. Vielleicht ist ja genau das eingetreten, wovor manche immer wieder gewarnt haben. Dass erst die Umgangsformen verrohen und danach die Taten. Dass also zuerst das Runtermachen, Pöbeln und Beleidigen kommt und dann das Zuschlagen. Die Umgangsformen sind zweifellos roher geworden. Fast jeder, der sich irgendwie öffentlich äußert, kann Geschichten darüber erzählen. Auch wir hier im Radio. Als ob es eine Art Freiheitsrecht gäbe, einen Menschen, den ich gar nicht kenne, zu beschimpfen und zu beleidigen, mit aufgestautem Hass zu überschütten, nur, weil er anders tickt, anders redet, anders aussieht.

Wer so ungefiltert seinen Hass rausbrüllt, sieht aber nicht nur hässlich aus, er wird auch ziemlich blind. Aus dem konkreten Menschen gegenüber wird dann nämlich nur noch „der Linke“, „der Fascho“, „der Pfaffe“, „der Ausländer“. Kurz: Ein verhasstes Feindbild, aber kein Mensch mehr, der dieselbe Würde hat wie ich. Der dasselbe Recht auf seine eigene Meinung hat, so wie ich auch.  Ich kann die andere Meinung aus guten Gründen völlig daneben finden und vielleicht nur schwer aushalten. Darüber müssen wir dann streiten, wenn‘s sein muss, auch heftig. Aber immer unter Menschen, die eine  Würde haben und Respekt voreinander.  Das kann verdammt mühsam sein. Weil es ja viel simpler ist, in der eigenen Blase zu bleiben. Wir, die die Wahrheit haben, gegen die Anderen, die Gegner, die Feinde. Das gibt Sicherheit und fühlt sich stark an. Ist es in Wahrheit aber gar nicht. Stark ist, wer trotz aller Differenzen und aller Abneigungen im anderen immer noch den Menschen sehen kann. Wenn das verloren geht, dann wird’s gefährlich. Manchmal sogar lebensgefährlich.

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