Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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15JUL2019
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In der Innenstadt springt mir in einem Schaufenster ein graues T-Shirt ins Auge. Darauf zu sehen sind die schwarzen Umrisse eine Fotokamera. Aus dem Objektiv aber quellen bunte Farbschwaden: rot, gelb, lila, blau, grün. Darunter der Schriftzug: Positiv sehen.

Positiv sehen. Ich kenne: Positiv denken. Das meint: In jeder Situation, die sich mir im Leben stellt, kann ich nach den positiven, optimistischen Aspekten suchen. Kann ich mich bewusst für die Aussichten entscheiden, die gut werden können. Ein Beispiel: Wir hatten schon länger unseren Urlaub geplant. Wollten zehn Tage ans Meer fahren. Und hatten völlig übersehen, dass am zweiten Ferienwochenende mein Schwiegervater seinen neunzigsten Geburtstag feiert. War also blöd – aber nicht zu ändern. Positiv denken hieß da für mich: Ich genieße beides. Urlaub und Geburtstagsfeier. Und lasse einfach zwei Tage vom Urlaub sausen. 

Positiv sehen, so reime ich mir das zusammen, funktioniert ähnlich. Vielleicht noch einfacher. Positiv sehen, da muss ich nicht groß drüber nachdenken. Ich gehe durch meinen Tag und tausend Eindrücke prasseln auf mich ein. Ganz egal, ob ich zu Hause bin oder zur Arbeit gehe, ob ich gesund oder krank bin, ob ich Familie habe oder alleine lebe. Ich sammle Eindrücke. Mache Erfahrungen. Was aber sehe ich? Und was bleibt hängen von diesen Seheindrücken? Der alte Kaugummi auf der Straße oder das Lächeln der Marktfrau? Der Bagger, der mitten auf der Straße steht und mir den Weg versperrt, oder der Sonnenstrahl, der sich in einer Pfütze bricht? Der Alltagstrott, in dem ich mich manchmal bewege oder die kleinen Veränderungen, die jeden Tag einzigartig machen? Positiv sehen heißt: Mit wachen Augen durch die Welt zu gehen. Und mich davon überraschend zu lassen, wieviel Buntes, Schönes und Anrührendes jeder Augenblick für mich bereit halten kann.

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