SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

An manchen Tagen wünsche ich mir einen Knoten im Taschentuch. Einen, der mich an etwas Wichtiges erinnert. Daran nämlich, dass nicht alles so schlecht ist wie es oft gemacht wird. Es gibt so viel Gutes! Ich erfahre so viel Gutes. Doch blöderweise bleibt oft nur das Schlechte hängen. Warum auch immer? Keine Ahnung.

Jedenfalls wünsche ich mir an den Tagen, an denen ich mich so runterziehen lasse, einen Knoten im Taschentuch. Und der sagt mir: Überleg mal ganz genau, was du heute erlebt hast! Denk mal nach, ob wirklich alles schief gegangen ist. Gab es nicht doch ein klitzekleines Highlight?

Wenn ich es schaffe mir diese Frage auch ohne Knoten im Taschentuch zu stellen, dann stelle ich meistens fest: Nein, es ist nicht alles schlecht gewesen! Z.B. auf dem Weg in die Schule. Da habe ich jemanden auf der Straße getroffen und wir haben uns unterhalten. Kurz, aber intensiv und richtig gut.

Und im letzten Gottesdienst ist der kleine Junge zu mir nach vorne gelaufen. Er hat seine Arme nach oben gestreckt und wollte von mir gehalten werden. Einfach so. Das war schön. Dieser kurze Moment der Nähe.

Und die Postkarte im Briefkasten, adressiert an mich. Ein Gruß aus dem Urlaub. Da hat jemand an mich gedacht. Ganz unerwartet.  Kleine Begegnungen, kurze, intensive Momente, die wichtig sind und gut tun.Mitten im Alltag. Einfach so.

Daran soll mich immer wieder ein Knoten erinnern. Denn ich neige dazu, das zu vergessen. In der Bibel gibt es einen Satz, der ist wie ein solcher Knoten im Taschentuch. In einem alten Gebet heißt es: „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“

Ich stelle mir vor: Der Psalmbeter hat auch öfters das Gute vergessen und immer nur das Schlechte gesehen. Und auch er hat vielleicht ab und an einen Knoten im Taschentuch gebraucht. Aber er hat gewusst: Es tut der Seele gut, sich an das Schöne zu erinnern. Mir geht es auch so. Das Schöne baut mich auf, das Gute lässt mich aufatmen. Und so bekomme ich einen anderen, einen neuen Blick. Weil sich das Schlechte nicht in den Vordergrund drängt.

Deswegen hole ich auch heute Abend mein Taschentuch aus der Hose und lasse den Tag an mir vorüberziehen. Und ich bin mir sicher, mir wird etwas einfallen, wofür es sich lohnt Gott zu loben. Und das wünsche ich Ihnen auch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28951
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