SWR2 Wort zum Tag

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„Geist der Liebe“ stand auf dem Buch, in orangefarbenen großen Buchstaben auf rotem Grund. „Geist der Liebe“, das war der Titel eines der ersten theologischen Bücher, die ich gelesen habe. Es war Sommer und sehr heiß, als ich beschloss, dieses Buch im Freibad zu lesen. Der Umschlag war mir allerdings extrem peinlich. Genau das war es: Eine junge Frau, die mit einem Buch ins Freibad geht, auf dem steht „Geist der Liebe“. Das war eine plumpe Einladung: „Hallo, ich bin alleine! Hier ist noch Platz auf meiner Decke.“ Also was tun? Ein Packpapierumschlag! Der war die Rettung, er verbarg den „Geist der Liebe“ vor den Augen irgendwelcher Mitleser.

Das Wort Liebe bekommt ja, je nachdem wo und von wem es ausgesprochen wird, einen unterschiedlichen Sinn. Wenn man das Wort Liebe draußen, im Freibad hört, meint es soviel wie Leidenschaft, Glück, selige Kopflosigkeit. Menschenliebe – das ist eine so eindeutig zweideutige Angelegenheit, weil sich in ihr – wie der Dichter sagt, Tier und Gott im Menschen auf wundersame und harmonische Weise begegnen.

In kirchlichen Räumen hat Liebe dagegen nichts Aufregendes, vielmehr einen Beiklang von leicht Verstaubtem, Gutmütigem, Weltfremdem, einen Beigeschmack vom obligatorischen Pfefferminztee kirchlicher Einrichtungen. Gottesliebe - sie regt nicht auf und macht nicht schlaflos.  

Obwohl: Beide, die Gottesliebe und die Menschenliebe, hören auf das Wort Liebe. Aber: Können die beiden miteinander überhaupt verwandt sein? Sie können nicht nur, sie sind es. Das jedenfalls war meiner Schwimmbadlektüre, dem „Geist der Liebe“ zu entnehmen, in dessen Zentrum das Johannesevangelium, dem Liebesevangelium, steht.

Das Erste im Johannesevangelium ist die Liebe von Vater und Sohn, die innergöttliche Liebe. Gott will nicht nur mit sich allein sein. In seiner Liebe schafft er sich ein Gegenüber. Das ist gerade so, als wenn Gott gesagt hätte: „Hier ist noch Platz auf meiner Decke!“ Er selbst braucht  jemanden, der von ihm geliebt wird und der sich geliebt weiß. Und diese Liebe von Vater und Sohn wird ausgeweitet „Ein neues Gebot gebe ich euch: dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit ihr euch liebt“, sagt Jesus in diesem Evangelium. Jesus Christus, Gottes geliebter Sohn, ist im „Geiste der Liebe“, im allumfassenden, liebevollen Miteinander der Menschen bei ihnen, ganz egal, ob sie gerade in der Kirche sitzen oder im Schwimmbad liegen.

Das Buch „Geist der Liebe“ trägt heute keinen Pappendeckel mehr. Ich würde es auch so ins Freibad mitnehmen. Aus Altersweisheit, denn: Der Liebe braucht man sich nirgends schämen, nicht im Schwimmbad, nicht in der Kirche.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28932
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