SWR2 Wort zum Tag

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Kann schon sein, dass der neue Präsident der Ukraine alte Probleme durch neue ablöst. Wolodymir Selenskyj, studierter Jurist und gelernter Schauspieler und Komiker, hat aber jedenfalls die Wahl im Mai sehr klar gewonnen. Die Wähler in der Ukraine wollten eine andere Politik –  und die werden sie vermutlich bekommen. Ich fand ein paar Sätze spannend, die er in der Rede bei seiner Vereidigung gesagt hat. „Ich möchte sehr“, sagt er,  „dass in Ihren Arbeitszimmern nicht mein Bild hängt.  Denn der Präsident ist keine Ikone und kein Götzenbild,  der Präsident ist kein Porträt.  Hängen Sie dort Fotografien Ihrer Kinder hin und schauen Sie ihnen vor jeder Entscheidung in die Augen.“

 

Ich hoffe sehr, dass da wirklich der Präsident gesprochen hat und nicht mehr der Schauspieler Selenskyj. Und dann nehme ich dem Mann gern ab,  dass er ernst gemeint hat, was er da sagt –  weil er nämlich einen sehr guten Vorschlag macht. Meinetwegen soll der ruhig populistisch klingen – er ist jedenfalls richtig. Schaut euren Kindern in die Augen, denkt an eure Kinder und die Generation nach euch,  wenn ihr Entscheidungen trefft. Das ist so richtig,  weil nämlich fast jede Entscheidung in Politik und Wirtschaft weiter reicht als nur gerade bis in die nächsten Tage  oder bis an die Grenzen dieses Landes oder dieses Kontinents.  Ihr habt die Erde von euren Kindern nur gepachtet, sagt ein weiser Satz. Und dass alle Menschen Schwestern und Brüder sind und werden, behauptet die Europa-Hymne ähnlich wie der Glaube der Christenheit.  Beide Worte sind zugleich Aufträge.

 

Und die machen ganz schön demütig –  jedenfalls jede und jeden, die sie richtig verstehen wollen. Davon redet Präsident Selenskyj ja auch: In den Büros sollen die Leute Bilder von ihren Kindern da hin hängen, wo sonst immer und überall ein Foto vom Präsidenten hängt,  verehrungs-würdig wie eine Ikone in der östlichen Kirche.

 

„Johannes – nimm dich nicht so wichtig“,  hat der Konzils-Papst Johannes der dreiundzwanzigste sich selbst zugerufen. Scheint, der Präsident der Ukraine tickt ein bisschen in die gleiche Richtung; auch wenn sich erst noch zeigen muss, wie er sich im Amt entwickelt. Und sicher wird es eine Lösung geben, wenigstens für den Übergang. An der Amtsstuben-Wand gibt es Platz für die Kinder-Fotos  und die blau-gelbe Staatsflagge – irgendwie muss es ja auch amtlich zugehen und muss klar sein: Hier ist mehr als nur privat.

 

Aber im Ansatz ist es richtig: Schaut euren Kindern in die Augen und blickt auf die Zukunft – auf ihre und eure. Und dann trefft eure Entscheidungen – sie werden anders ausfallen,  hoffentlich nachhaltiger …

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28900
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