SWR3 Gedanken

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Vor drei Tagen ist Annettes Mutter gestorben.
Nicht, dass das jetzt so unerwartet gekommen wäre – beileibe nicht!
Ganze fünf Jahre ist es her, als der Arzt sein Urteil gesprochen hatte:
Alzheimer! Und das mit Ende vierzig!
Zuerst konnte sie noch zuhause bei Annettes Vater leben. Der musste sich ganz schön einschränken – von wegen Beruf, Haushalt und die zunehmende Hilfsbedürftigkeit der Mutter.
Vor zwei Jahren ging es dann nicht mehr so weiter: Annettes Mutter wurde ein Pflegefall und sie hatte Glück, denn ganz in der Nähe gab es ein gutes Pflegeheim.
Jeden Tag hat der Vater sie dort besucht, beim Essen geholfen, beim Waschen, ist mit ihr Spazieren gegangen. Auch Annette und ihre beiden Geschwister haben geholfen, sind regelmäßig einmal in der Woche gekommen und haben ihre Mutter besucht. Und das war nicht immer einfach! Die eigene Mutter körperlich und geistig immer schwächer werden zu sehen, ist hart – am schlimmsten war es wohl, als die Mutter sich nicht mehr an die Frau, die da an ihrem Bett saß und sich mit ihr unterhielt, erinnern konnte! Sie erkannte einfach ihre Tochter nicht, sie erkannte Annette nicht wieder!
Am Ende wurde es immer schwieriger: Irgendwann wollte ihre Mutter nicht mehr essen, wollte nichts mehr trinken. Kurz darauf ist sie dann gestorben.
Also, unerwartet war ihr Tod nun gewiss nicht. Und doch war Annette über die Heftigkeit ihrer Trauer erschrocken. In diesen drei Tagen, seid ihre Mutter nun tot ist, ist alles über ihr zusammengebrochen: Drei Tage und drei Nächte hat sie getrauert, wollte und konnte nicht reden und redete dann ununterbrochen am Telefon mit ihrer Freundin, fühlte sich alleine und einsam, obwohl sie doch von Menschen, Freunden und Familie umgeben war, schimpfte sich egoistisch, stellte sich ihren eigenen Tod vor, dachte über das Leben und den Tod nach.
Dann war die Beerdigung.
Als die Pfarrerin draußen vor dem Grab stand, als der Sarg langsam in die Erde gelassen wurde und die Pfarrerin „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“ sagte und die Erde auf den Sarg rieselte, da auf einmal kam es über sie: die Tränen liefen und sie dachte: „Das ist es jetzt also. Ab heute fängt eine neue Zeit an: Die Zeit mit meiner Mut-ter ist zu Ende, ab jetzt beginnt die Zeit ohne Mutter.“
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