SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

16JUN2019
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Manchmal müssen auch Männer reden. Echt. Ist so. Da brauchen sie einen, der zuhört. Der sie ernst nimmt. Auch Männern tut das gut, wenn mal raus kommen kann, was einen tief drin umtreibt. Wenn ich mal fragen kann und nicht immer gleich Antworten parat haben muss.

Die Bibel erzählt von einem älteren Mann, den auch seine Fragen umtreiben. Nikodemus heißt er. Er hat von Jesus gehört und das, was er mitgekriegt hat, interessiert ihn, macht ihn neugierig. Dass Jesus Menschen geheilt hat. Dass er von Gott als gutem Vater gesprochen hat. Und von Gottes neuer Welt. Von Frieden und Gerechtigkeit. Wie er Menschen zum Vertrauen auf Gott und zu einem Leben mit ihm bewegt hat. Und so fragt er: „Wie kann einer neu geboren werden, wenn er alt ist?“ Wie kann einer, wenn er alt ist, noch etwas vom Leben erwarten?

Ich glaube, auch für Männer werden die großen Fragen des Lebens nicht kleiner, wenn sie älter werden. Vielleicht werden sie sogar dringlicher. Kann ich mich noch ändern? Kann ich noch einmal neu anfangen, neu werden, gerade wenn ich schon älter bin? Und: Kann ich noch was vom Leben erwarten?

Nikodemus geht mit seinen Fragen zu Jesus. Viel weiß man ja nicht von ihm. Man kennt seinen Namen und seine Aufgaben und Funktionen: Theologe, Mitglied im Stadtrat, Abgeordneter, allem Anschein nach ein besonnener, angesehener, geachteter Mann. Einer, der sieht, was passiert in der Welt. Einer, der daran leidet wie Menschen miteinander umgehen. Er sucht das Gespräch. Das will er von Jesus selber wissen, wie der das meint, mit Gottes neuer Welt.

„Wie kann einer neu geboren werden, wenn er alt ist?“ Fragt Nikodemus. Jesus hatte das behauptet: Nur, wenn man neu geboren wird, kann man neu anfangen. Ich verstehe das so: Du kannst dein Leben nicht noch einmal von vorn beginnen. Aber es jetzt neu begreifen, das kannst du. Geboren wird man, das machen wir nicht. Geboren werden, das ist ein Geschenk, das geschieht mit uns. Nimm das als Geschenk, die Zeit, die du noch hast. Du musst dich nur trauen. Und es ausprobieren. Bange machen gilt dabei nicht. Sich verkriechen geht auch nicht. Und zynisch werden schon gar nicht. Such dir eine Aufgabe, wo du andern helfen kannst. Bring dich ein, in der Nachbarschaft, da, wo du lebst, deine Erfahrung wird gebraucht. Mach den Mund auf, wenn wieder mal schwarz-weiß gemalt wird, und erzähl, wie bunt das Leben ist.

II.

„Wie kann einer neu geboren werden, wenn er alt ist?“ Kann ich noch einmal neu anfangen, neu werden, gerade wenn ich schon älter bin? Und: Kann ich noch was vom Leben erwarten? Die großen Fragen des Lebens werden nicht kleiner, wenn man älter wird. Wie einer mit seinen Fragen zu Jesus gekommen ist, davon habe ich Ihnen vorhin schon erzählt, hier in den SWR4 Sonntagsgedanken.

Immer, wenn einer Fragen stellt, zeigt das doch, dass er noch nicht fertig ist. Nikodemus will keine vorschnellen Antworten. Für den scheint es nicht nur schwarz oder weiß zu geben, sondern eine ganze Menge Farben dazwischen. Und das stimmt doch: Das Leben ist viel bunter, als dir manche einreden wollen. Wenn einer genau hinschaut, nachfragt, es wissen will, dann hat er keine vorgefertigte Meinung. Will sich nicht abschotten und denken, ich weiß doch, wie der Hase läuft, ich kenn doch alles längst schon. Er will nicht die üblichen Antworten hören. Dass einer offen ist für Neues, für neue Gedanken, Erfahrungen, Ideen, das hält einen auch im Älterwerden jung.

Manche nennen das Midlife-Crisis, wenn einer anfängt, solche Fragen zu stellen wie Nikodemus. Die kannst Du auch noch mit 60 kriegen. Midlife-Crisis, das ist die Zeit, wo Männer komische Sachen machen. Kaufen sich viel zu enge Hosen und viel zu bunte Hemden. Das ist die Zeit, wo es dir klar wird, dass du schon mehr Lebenszeit hinter dir hast, als noch vor dir liegt. Und die Möglichkeiten, noch einmal was ganz anderes zu machen, werden kleiner. Vielleicht merkt man auch, dass man das, was man früher einmal wollte, nicht mehr erreichen kann. Vielleicht trauert man Möglichkeiten nach, die man rausgelassen hat. Vielleicht hadert man mit Entscheidungen, die man getroffen hat. Vielleicht macht einem schlaflose Nächte, was man anderen schuldig geblieben ist. Und dazu kommt das Gefühl: Das kann es doch noch nicht gewesen sein.

Der Wunsch, dass sich was ändern soll. Und die Erfahrung, es muss sich doch was ändern in dieser Welt, wenn es eine Zukunft geben soll. Die kommen oft zusammen, diese Erfahrung und dieser Wunsch. Es kann doch nicht so weiter gehen, dass wir so leben, als hätten wir eine zweite Erde im Kofferraum. Es kann doch nicht sein, dass jeder nur auf sich selber guckt. Auf seinen Vorteil aus ist. Dass nur zählt, was sich rechnet. Mich treibt das um, wie viel auf der Welt aus den Fugen zu sein scheint. Mich beschäftigt das, wenn Wahrheit Lüge genannt wird und Lüge Wahrheit. Und ich glaube, ich bin damit nicht allein.

Nikodemus damals hat sich an Jesus orientiert. Von ihm wollte er wissen, wie neues Leben gehen kann. anderes Leben. Ich probiere das auch, wenn ich ins Fragen komme. Und höre: „Selig sind die Barmherzigen. Selig sind, die Frieden stiften.“ Damit ernst machen, das wäre doch ein Anfang!

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

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