SWR4 Abendgedanken

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Pfingsten ist gerade vorbei. Aber mit dem Geist, auf den Christen sich berufen, ist es nicht vorbei. Der Geist Gottes wirkt weiter. Und es gibt einige Anhaltspunkte, wo er bei Menschen am ehesten zu finden ist. Charismen heißen diese Geistesgaben. Es sind also Begabungen, die Menschen haben, und in denen sich etwas davon zeigt, was Gott bewirken will. Eine dieser geistlichen Fähigkeiten ist es, ein guter Ratgeber zu sein. Also im Umkehrschluss: Dort, wo Sie einen wirklich guten Rat bekommen, einem Menschen begegnen, der das gut kann, dort dürfen Sie damit rechnen, dass Gott mit im Spiel ist.

Ich hatte lange Zeit so einen Freund, bis er im vergangenen Jahr überraschend gestorben ist. Wenn ich ihn um Rat gefragt habe, hatte er viele gute Ideen, die mich herausgefordert haben. Er hat mich ermutigt, Neues auszuprobieren und mich von alten Zöpfen zu verabschieden. Er hat mich darauf aufmerksam gemacht, wo ich unnötig Zeit und Kraft vergeude. Etwa bei menschlichen Eitelkeiten. Von ihm habe ich gelernt, dass es die bessere Wahl sein kann, auf einen Angriff, eine herbe Kritik erst mal nicht zu reagieren, mich nicht immer und für alles zuständig zu fühlen. Wenn ich mir über etwas im unklaren war, hat er mich erst lange angehört, dann irgendwann gedanklich eine Türe aufgemacht, und mir geraten, die auszuprobieren. Er hat mir nie fertige Konzepte präsentiert. Weil ihm klar war, dass ich meine Antwort selbst finden musste, so finden, dass ich dann auch den Weg gehen konnte. Aber sein Ratschlag war immer hilfreich, weil er seinen anderen Blick, seinen größeren Horizont mit einge-bracht hat.

Ich habe viel von ihm gelernt, was Ratschläge angeht. Wenn andere mich um Rat fragen. Dass es nicht darum geht, anderen ihre Entscheidung abzunehmen. Sondern dass der Rat viel früher ansetzt. Ein guter Ratgeber schenkt seinem Gegenüber das Vertrauen, dass er sein Problem bewältigen kann. Er nimmt ernst, wenn einer viele Bedenken trägt, und hilft ihm, nur die nötigen zu beachten.

Eine Freundin hat mir davon erzählt, dass sie sich mit einer Mitarbeiterin überworfen hat. Total. Früher waren sie ein Team, befreundet eigentlich. Seit fünf Jahren sprechen beide kein Wort mehr miteinander, obwohl sie sich täglich im gleichen Gebäude aufhalten. Die Freundin von mir will unbedingt etwas dagegen tun. Sie sucht nach Gründen und Auswegen. Sie leidet unter dem Zerwürfnis. Ich rate ihr: „Stell nicht die Schuldfrage. Bleib immer freundlich. Sende Signale, die die andere nicht einengen. Hab keine großen Erwartungen.“ Bisher haben die beiden nicht wieder zueinander gefunden. Ich bin auch gar nicht sicher, ob das unbedingt notwendig ist. Es kommt vor, dass Menschen auf einmal getrennte Wege gehen und das besser so ist. Aber meine Freundin beginnt inzwischen, gelassener damit umzugehen. Und ich bleibe an ihrer Seite und helfe ihr zu verstehen und zu verarbeiten.

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