SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Eine Bekannte erzählt mir, dass sie sich gerade sehr über ihre beste Freundin ärgert. Ihre Freundin war wohl patzig zu ihr und hat sie damit ziemlich getroffen. Seit Tagen überlegt meine Bekannte nun, ob sie ihrer Freundin das zurückmelden soll oder nicht. Sie ist sich unsicher – weil sie Angst hat, damit alles noch schlimmer zu machen. Vielleicht war‘s ja nur eine Stimmungsschwankung und nicht der Rede wert. Ich rate ihr, unbedingt ehrlich zu sein und das zurückzumelden. Ich finde: Wahre Freundschaft verträgt und verdient Ehrlichkeit.

Nach dem Gespräch beiß ich mir auf die Zunge – wie kann ich das nur so selbstsicher sagen, wenn ich doch selber erst letztens meine Meinung bei einer Freundin zurück gehalten habe. Warum eigentlich …weil ich den richtigen Moment abwarten wollte? Oder weil ich mir unsicher war, wie ich es sagen soll? Das sind gute Gründe, aber letztlich lag es daran, dass es mir unangenehm und zu anstrengend war. Und damit war ich in dem Fall eher eine bequeme Freundin. Unehrlich, weil zu bequem.

Wenn ich darüber nachdenke, wird mir ganz anders, denn so möchte ich nicht sein. Gerade die unbequemen Menschen finde ich doch so großartig. Ein besonders unbequemer Mensch muss Jesus gewesen sein. Zum Beispiel, als ihn ein reicher Mann danach fragt, wie er ein gerechtes Leben führen kann. Der reiche Mann sagt, dass er alle Gesetze erfüllt und ein gutes Leben führt, ob das nicht reicht. Jesus sagt, er muss seinen ganzen Besitz abgeben, um wirklich ein gerechtes Leben zu führen. Das ist bestimmt nicht das, was der reiche Mann hören will. Aber damit ist Jesus ehrlich und eben auch ziemlich unbequem. Und genau mit solchen ehrlichen, unbequemen Aktionen hat mich Jesus schon immer fasziniert. Jesus hat klare Standpunkte; denen zieht er weder gespielte Harmonie, noch irgendeine Bequemlichkeit vor. Dafür weiß der reiche Mann jetzt aber, woran er bei Jesus ist.

Ich nehme mir nach dem Gespräch mit meiner Bekannten vor, meine Freundin anzurufen und ihr das zu sagen, was ich letztens für mich behalten habe. Dafür brauche ich viel Fingerspitzengefühl und die richtigen Worte. Aber auch die Entscheidung, nicht immer die bequeme Freundin zu sein. Denn wenn ich die Wahl habe zwischen Ehrlichkeit und Bequemlichkeit, dann bin ich ehrlich gesagt doch lieber unbequem.

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