SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Es ist nicht so wie es aussieht!“ Diesen Satz hat Markus Dutzende Male im vergangenen Jahr gesagt. „Es ist nicht so wie es aussieht“.  Die Worte kommen fast reflexartig aus seinem Mund; er hat das Gefühl sich erklären zu müssen, sobald ihn jemand anschaut.

Seit er sich erinnern kann, wird er von den Blicken anderer gemustert. Markus ist jetzt Anfang 30 und sagt: es sind immer „schräge Blicke“, keine ehrlich gemeinten.

Markus war ein dickes Kind. Er war sogar ein fettes Kind. Nichts hatte geholfen, keine Diät, keine Form der Bewegung – er blieb einfach viel zu dick. Irgendwann wurde sein Magen verkleinert, auch das hat nichts verbessert. Noch letztes Jahr hat er sage und schreibe 180 Kilogramm gewogen! Und da haben die Leute natürlich hingeschaut.

Dann kam die erlösende Nachricht für den jungen Mann – Mediziner hatten endlich die Ursache für seine Fettleibigkeit gefunden. Markus leidet an einem sehr seltenen Gendefekt.

Seit einem Jahr wird er behandelt und hat unglaublich schnell abgenommen – nur noch 79 Kilo wiegt er heute! Er hat angefangen Sport zu treiben, weil er seinen ausgeleierten Körper in Form bringen will, wie er erzählt. Das mit den abschätzigen Blicken könnte also bald vorbei sein  - aber das ist es nicht. Denn die Behandlung hat eine Nebenwirkung, und zwar eine, die man sieht: Sie verändert die Pigmentierung, also die Farbe der Haut. So sehr, dass Markus kakao-braun geworden ist. Überall. Im Gesicht, am ganzen Körper, an Händen und Füßen.

 „Es ist nicht so wie es aussieht!“, sagt er immer wieder, wenn er gefragt wird, woher er kommt. „Ich muss erklären, warum ich einen Deutschen Namen habe, schwäbisch spreche, aber aussehe wie ein Pakistani. Manche glauben mir nicht“, sagt er, „und halten mich für ein Adoptivkind.“ Eine Beleidung hat ihn besonders getroffen: „Da ist Deine Mutter wohl mal fremd gegangen“.

Christen glauben: Jeder Mensch ist von Gott so angenommen wie er ist. Aber es hilft Markus nicht viel, wenn es nur Gott ist, der ihn annimmt. Jeder Mensch ist es wert und würdig, dass man ihm in die Augen sieht, tiefer blickt; und nicht bei der Körperform oder der Hautfarbe hängen bleibt. Ich denke dabei nicht nur an Markus, sondern an alle Menschen mit einer anderen Hautfarbe, ob hier geboren oder zugewandert. Ich denke genauso an diejenigen, die keine Idealmaße haben oder irgendwie gehandicapt sind. Sie sind anders, aber auf ihre Weise einzigartig.

„Wer bist Du?“ Das ist die Frage, die einem Menschen gerecht wird; wenn sie nicht an der Oberfläche hängen bleibt. In der Welt, die ich mir wünsche, geht es nicht um Herkunft oder Hautfarbe. Weder für Markus noch für irgendjemand anderen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28729
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