SWR2 Wort zum Tag

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Ein paar Kollegen und ich sind zu Fuß unterwegs auf einer Pilgertour in Frankreich. Fix und fertig erreichen wir abends die Kathedrale von Chartres. Beim Pilgern kommt es ja auf beides an: Körper und Geist. Und wir sind uns alle einig, dass nach einem ersten Kirchenrundgang jetzt auch mal der Körper zu seinem Recht kommen muss. Wir brauchen dringend etwas zu essen.

Schnell finden wir eine kleine Bar in der Altstadt von Chartres und möchten einen Happen essen. Nur nicht Carsten. Er hat Größeres vor. Er hat auf einer Tafel in der Bar ein Angebot entdeckt. Da steht fett mit weißer Kreide „Big Starving Solution Menü“. Wir lachen über den Namen und lassen ihn uns auf der Zunge zergehen: „Big Starving Solution“ – also die große Verhunger-Lösung. Ja, genau das braucht Carsten jetzt. Er hat schon den ganzen Tag über das trockene Brot geschimpft und braucht jetzt was Richtiges.

Während wir warten, philosophieren wir ein bisschen über den Menü-Namen. „To starve“ heißt ja „nach etwas hungern“ oder auch „sich nach etwas sehnen“. Klar, dass dieser Name viele Touristen anspricht, die einfach mal richtig satt werden wollen. Die die Nase voll haben von den französischen Gourmet-Portionen.

Aber „Starving“ könnte noch für mehr stehen. Es gibt auch einen Hunger danach, endlich wieder gesund zu sein, sich wieder richtig bewegen zu können, oder dass es gerecht zugeht auf der Welt. Viele sehnen sich danach, sich nach langer Zeit endlich mit jemandem zu versöhnen, oder einen Partner zu finden, jemanden mit dem man etwas unternehmen kann. Und trotz aller Sehnsüchte gibt es so vieles, was in meinem Leben immer eine Sehnsucht bleiben wird – bruchstückhaft und unerfüllt.

Plötzlich steht der Kellner mit dem Tablett vor uns. Carsten bekommt große Augen, und wir grinsen in uns hinein. Das ist alles andere als eine Big Starving Solution. Das ist eine französische Gourmet Portion: großer Teller mit kleinem Lasagne-Häppchen drauf. Carsten muss jetzt sehr tapfer sein.

Nachdenklich verlassen wir die Bar. Erstens ist Carstens Hungerproblem gar nichts angesichts so vieler Menschen auf der Welt, die wirklich nichts zu essen haben. Und zweitens ist uns mal wieder bewusst geworden, dass es noch einen anderen Hunger gibt. Und auch der bleibt meistens ungestillt - zumindest hier auf der Erde.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28726
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