Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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25MAI2019
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Rund zehntausend Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland von eigener Hand. Das ist das Dreifache der Verkehrstoten. Jahrhunderte haben die Kirchen die Selbsttötung scharf verurteilt. Sie sahen darin einen schuldhaften Eingriff in die Schöpfermacht Gottes, der alleine Leben gibt und Leben nehmen darf. Judas, der verräterische Apostel, war das Negativ-Beispiel: Nach dem Verrat an Jesus erhängt er sich in seiner Verzweiflung an einem Baum. Weil er nicht auf die Barmherzigkeit Gottes vertraute, machte er sich zusätzlich schuldig.

Inzwischen haben wir in vielerlei Hinsicht dazu gelernt. Wir sind vorsichtig geworden mit der Annahme, Selbsttötung sei immer ein Akt der Freiheit. In vielen Fällen gehen einer Selbsttötung schwere Depressionen voraus. Diese Depressionen sind kein seelischer Schnupfen, sondern schwerste Erkrankungen, die unbehandelt tödlich enden.

Auch die wachsende Zahl von alten und schwerkranken Menschen, die an eine Selbsttötung denken, macht nachdenklich. In ihrer als ausweglos erlebten Situation belasten sie vor allem drei Ängste: Die Angst, das eigene Leben nicht mehr steuern zu können und der Medizintechnik ausgeliefert zu sein. Die Angst, für niemand mehr Bedeutung zu haben und für die Angehörigen lediglich eine Last zu sein. Und die Angst vor Schmerzen. Diese Menschen wollen häufig trotz erklärten Todeswunsches eigentlich nicht sterben, sondern nur nicht so weiterleben. Diese Erfahrungen zeigen: Solche Menschen brauchen vor allem Hilfe. Ärztliche und pflegerische Hilfe, insbesondere bei schweren psychischen Krankheiten und Depressionen. Und sie brauchen Menschen, die ihnen mit Wertschätzung begegnen. Ihnen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben bis zum Tod ermöglichen und ihre Schmerzen lindern. Zugleich wusste schon die alte Kirche, auch Menschen, die sich selbst töten, fallen nicht aus der Barmherzigkeit Gottes: In einer französischen Kathedrale des 12 Jhdts. wird auf einer Säulenseite der Selbstmord des Judas drastisch und realistisch dargestellt. Doch auf der anderen Seite hat ihn ein Mann vom Baum abgenommen und ihn sich über die Schultern gelegt. So wie Jesus das verlorene Schaf nach Hause trägt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28666
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