SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

So eine Gegend hat jede Stadt – und wohl auch manches Dorf.
Ein ganzes Stadtviertel oder mehrere – oder nur ein
„am Ende vom Hügelweg“…
„No go areas“ für Bürgerkinder.
Bei uns zu Hause war es der Borsigweg.
Wird heute ein neuer Fall von Kindesmisshandlung bekannt,
dann meist in so einer Gegend.
Weihnachten hat wohl ursprünglich auch in einer no go area stattgefunden.
Jesus jedenfalls, so erzählen es die biblischen Geschichten,
ist ja nicht etwa in der Stadt Betlehem geboren worden,
umgeben wenigsten vom bescheidenen Luxus eines kleinen Pilgerhotels.
Kein Platz in der Herberge, heißt das lapidar.
Kein Platz zum Leben, kein Platz für Kinder,
und schon gar kein Platz für eine Geburt,
für die Schmerzen und das Blut und das Geschrei eines Neugeborenen.
Unweihnachtlich war das, als der kleine Jesus auf die Welt kam.
Ein Stall ist ja nun wirklich kein Ort zum auf die Welt kommen.
Und dann die ersten Besucher –
die Schaf- und Ziegenhirten aus der Gegend: das war das gleiche Milieu.
Leute am Rand einer Gesellschaft,
die Schafwolle und Ziegenkäse brauchte,
aber die Produktionsbedingungen und die Produzenten lieber ausblendete.
Schmuddelkinder eben.
Die, ausgerechnet, hat ein Engel hergeschickt,
dass sie sich kümmern sollten. Das Wunder angucken,
das da passiert ist. Mitten unter ihnen.
Ein Wunder war es auch, dass diese Geschichte herauskam
aus dem ärmlichen Milieu, in dem sie zuerst erzählt wurde.
Die no go area, der Rand der Gesellschaft, wurde plötzlich
zum Mittelpunkt der Welt.
Weil nämlich Jesus, geboren im Stall, dann später als Profet gelebt hat,
als Gottes Stimme in der Welt;
weil der immer wieder Menschen vom Rand in die Mitte gestellt hat.
Das Kind, die stadtbekannte Hure, den Typ mit ansteckender Krankheit.
Weihnachten – auch unsere Art von Weihnachten heute -
könnte wieder so ein Wunder tun:
dass der Rand zur Mitte wird,
dass die vergessenen Menschen wieder beachtet werden,
einfach als Menschen.
Man müsste sich nur ein bisschen mehr drauf einlassen.
Angela Merkels „neue Kultur des Hinsehens“ –
gemeint als Schutz für bedrohte Kinder: das wäre
das Wunder von Weihnachten, übersetzt in gesellschaftlichen Alltag heute.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2859
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