Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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08MAI2019
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Atmen bedeutet leben. Das ist zunächst ein banaler Satz, eine Binsenweisheit. Wir atmen ja auch völlig unbewusst. Ganz automatisch. Erst, wenn uns die Luft wegbleibt, wenn wir außer Atem kommen, dann wird uns die Bedeutung klar.

Pro Minute atmen wir im Schnitt 12 Mal ein und aus. Das sind rund 17000 Atemzüge am Tag, über 6 Millionen im Jahr. In einem achtzigjährigen Leben atmen wir über eine halbe Milliarde mal ein und aus.

Das Atmen bestimmt unser ganzes Leben. Vom ersten Schrei im Kreißsaal bis zum letzten Atemzug, wenn der Mensch sein Leben aushaucht. Wer einmal einen Sterbenden begleitet hat, der wird diesen Moment nicht vergessen.

Atmen ist ein Geschenk. So erzählt es die Bibel auf den ersten Seiten. Sie tut es in mythischen Bildern. Wie ein Töpfer formt Gott den Menschen, den „Adam“, aus dem Erdboden, der „adama“. Doch der Mensch wäre nur ein lebloser Haufen Dreck geblieben, wenn Gott ihn nicht angehaucht hätte. Er blies seinen Atem in die Nase des Menschen. Und die Bibel wörtlich: „So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (Gen 2,9) Übrigens: Der muslimische Koran schildert die Erschaffung des Menschen fast mit den gleichen Worten. (Sure 15:29)

In der biblischen Schöpfungserzählung steht für den Atem das hebräische Wort „ruach“. „Ruach“ bedeutet aber auch „Geist“. Mit seinem Atem schenkt Gott dem Menschen also nicht nur das Leben, sondern auch seinen heiligen Geist. Was für eine Aussage!

Solange der Mensch lebt, atmet er den Geist Gottes. Zugespitzt könnte man sagen: Jeder Atemzug ist ein Gottesbeweis.

Ganz praktisch können gläubige Menschen das in der Meditation erfahren. In nahezu allen Religionen gibt es Übungen, in denen sich der Mensch der Atmung wieder bewusst wird. Das Atmen verbindet die Menschen untereinander, über alle Grenzen hinweg. Ja, es ist wahr: Durch den Atem Gottes leben wir und haben alle Anteil an seinem Geist.

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