SWR2 Wort zum Tag

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„Heimat“ ist ein missverständliches Wort, vor allem dann, wenn es politisch instrumentalisiert wird. Doch vielleicht können beim Thema „Heimat“ überhaupt nur diejenigen mitreden, die ihre Heimat verloren haben – durch Krieg, Vertreibung, unfreiwillige Migration. Und vielleicht sollten alle anderen, die sich mit ihrer Heimat selbstverständlich verbunden fühlen, erst einmal deren Geschichten hören.

Von Heimatverlust weiß die Bibel eine Menge zu erzählen. In ihrem Mittelpunkt steht die Geschichte eines Exils. Nach dem Zusammenbruch der Königreiche in Israel und Juda waren viele Familien ins ferne Babylon verschleppt worden. Eltern und Kinder wurden auseinandergerissen, junge Menschen zu Zwangsarbeit fern der Heimat verurteilt. Grundstücke und Landeigentum gingen verloren; die Besitzer wurden enteignet.

Im babylonischen Exil blieb bei manchen die Sehnsucht nach der Heimat lebendig. Ja, es mag sein, dass die erzwungene Entfernung manches in goldenem Licht erscheinen ließ, was eigentlich gar nicht so glänzend war. Doch warum darüber urteilen? Offenbar nährt die Sehnsucht die Gefühle der Verbundenheit mit dem, was einstmals vertraut war, doch nun fern und unzugänglich ist.

Überraschend finde ich, dass nicht nur für die ins Exil Verschleppten, sondern auch für die Daheimgebliebenen Heimat defizitär geworden war. Obwohl immer noch zuhause fühlten sie sich nicht mehr daheim, weil die anderen fehlten. Heimat ist zerbrochen, weil Beziehungen zerbrochen sind. Heimat ist eben nicht nur Grund und Boden. Sie besteht aus den Menschen, die zu mir gehören.

Ein biblisches Lied aus dieser Zeit bietet für solche Emotionen starke Bilder: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions – also die Verbannten – erlösen und heimführen wird, dann werden wir Daheimgebliebene sein wie die Träumenden.“

Noch ist es nicht greifbare Wirklichkeit für die Daheimgebliebenen, die Verbannten wieder in ihrer Mitte zu wissen. Doch diejenigen, die so singen, sehnen sich nach denen, die ihnen fehlen, und holen sie durch das gemeinsame Singen schon jetzt in ihre Mitte: „Herr, bringe zurück unsere Gefangenen wie du die Bäche zurückbringst im Südland. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“

Ohne die Menschen, die zu mir gehören, bleibt Heimat unerfüllt. Erst mit den vertrauten Beziehungen wird sie „ganz“.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28525
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