SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Manche Dinge nehme ich nicht wahr, obwohl sie mir direkt vor Augen stehen. Mir ist das einmal klar geworden, als ich zum ersten Mal den Film „der unsichtbare Gorilla“ angeschaut habe. Dieser Film ist ein Test, den zwei Psychologen 1999 entwickelt haben. Auf einer Bühne stehen sechs Baskeballspieler in weißen und schwarzen T-Shirts und werfen sich gegenseitig Bälle zu. Der Zuschauer soll nun zählen, wie oft ein Spieler mit einem weißen T-Shirt einem anderen den Ball zuwirft. Das hab ich getan. Genau mitgezählt. Das Ergebnis: 15 Mal. Danach wurde ich gefragt, ob ich auch den Mann im Gorillakostüm gesehen hätte, der durch das Bild gelaufen sei. Wie bitte? Gorillakostüm? Ich hätte schwören können, es gab keinen Mann mit Gorillakostüm. Bis ich den Film nochmal angeschaut und genau darauf geachtet habe. Und tatsächlich: Während die anderen sich da ihre Bälle zuwerfen, läuft ein Mann in einem Affenkostüm über die Bühne. Habe ich einfach nicht gesehen, obwohl es vor Augen war.

Ich denke: Vielleicht ist das mit Gott ja genauso. Gott ist auch da und er wirkt in dieser Welt und in meinem Leben. Nur: Ich sehe das nicht. Weil ich nicht darauf achte und auch gar nicht wirklich damit rechne. Ich bin so gefangen von den täglichen Freuden und Sorgen meines Lebens und so konzentriert auf meine Arbeit, dass ich gar nicht merke, dass Gott bei mir ist. Die Psychologen nennen das „Unaufmerksamkeitsblindheit“. 

Dabei gibt es so viele Spuren Gottes zu entdecken, wenn ich nur genau hinschaue. Die ganze Schöpfung ist ein Zeugnis für Gott. Jeder Sonnenaufgang, das Rauschen der Blätter im Baum, die Blüte einer Osterglocke. Überall hinterlässt der Schöpfer dieser Welt seine Spuren. Aber auch der herbe Geschmack eines kühlen Bieres, die Umarmung eines Menschen, eine unerwartete Begegnung, die mein Herz erfreut, ein Bibelwort, das mir Mut macht, oder eine Bewahrung in einer Notsituation – all das kann mir zeigen, dass Gott mir nahe ist und für mich sorgt. Ich muss es nur erkennen. Und bin doch so oft „unaufmerksamkeitsblind“ für Gott.

Wenn es Ihnen auch so geht, dann wünsch ich Ihnen und mir, dass Gott uns die Augen öffnet. Ich will Gott bitten, dass ich nicht immer so abgelenkt bin, sondern an jedem Tag seine Spuren in meinem Leben entdecke.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28508
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