SWR2 Wort zum Tag

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Vor wenigen Wochen stand ich wieder einmal neben einem mächtigen Gipfelkreuz. Daneben ein Gipfelbuch, in das ich mich eintragen konnte. Das letzte Stück des Aufstiegs war nicht ganz ohne. Der Boden war vereist. An einem Stahlseil konnte ich mich einigermaßen sicher nach oben hangeln. Aber als ich oben war, wusste ich: Die Mühe des Aufstiegs hatte sich wirklich gelohnt.

Warum stehen eigentlich Kreuze auf Berggipfel, habe ich mich gefragt. Haben die Menschen in einem Berggipfel eine Erinnerung an den Hügel gesehen, auf dem vor 2000 Jahren Jesus aus Nazareth an einem Kreuz gestorben ist? Oder ist das Gipfelkreuz ein Zeichen einer kleinen In-Besitznahme?

Ein Gipfelkreuz, denke ich mir,  könnte doch auch ein Zeichen der persönlichen Dankbarkeit sein. Der Dankbarkeit gegenüber dem, der mir diesen Aufstieg und zugleich den Ausstieg aus den nicht selten konfliktbeladenen Niederungen des Lebens hat gelingen lassen. Ich habe das Gipfelkreuz für mich so gedeutet.

Wenige Sätze aus einem alten biblischen Lied, einem Psalm, bestätigen diese Sichtweise. Dort singt ein Mensch, den Blick von unten nach oben gerichtet, was er mit dem Berg, den er vor Augen hat, verbindet: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vomHERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.“ (Psalm 121,1+2)

Der Gipfel als Ort, an dem ich mir der Hilfe Gottes bewusstwerde. Dieser Ort muss gar kein Berggipfel sein. Je älter ich werde, desto mehr kommt mir jeder Tag meines Lebens wie ein Weg durch eine Gebirgslandschaft vor. Und zu diesem Weg gehören eben auch bisweilen beschwerliche, bisweilen atemberaubende Gipfelbesteigungen. Aufgaben, die wie eine schwere Bergetappe vor mir liegen. Ein schwieriges Gespräch. Eine bedrohliche Krankheit. Ein übervolles Tagesprogramm. Große Gipfel gibt es da. Und kleine. Vielleicht, denke ich, müsste ich dann auch mitten in meinem Leben eine Art kleiner Gipfelkreuze errichten. In Gestalt eines kurzen Innehaltens. Eines Dankgebetes. Mit Blumen. Oder, wenn es ein mächtiger Lebensgipfel war, auch mit einem Fest.

Darum halte ich meine Bergbesteigungen in einer Art innerem Gipfelbuch fest. Als Erinnerungen, die ich im Gedächtnis behalte. Denn es gibt keinen Tag, der mir nicht irgendeine Gipfelbesteigung zumutet. Und mich am Ende auch dankbar zurücklässt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28460
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