SWR2 Wort zum Tag

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„Wer liest, hat mehr vom Leben. Lesen ist cool“ So habe ich früher schon versucht, meine leseunwilligen Schüler zu motivieren. „Wer weiß ob die alten Geschichten wahr sind“ hat damals einer zu mir gesagt. Ich weiß bis heute immer noch keine bessere Motivation fürs Lesen: „Wer liest, hat mehr vom Leben.“

 

Wunderbar erzählt finde ich das in einem kleinen Buch im Alten Testament, dem Buch Esther. Es zeugt von der Kraft des Schreib- und Lesewortes. Erzählt wird von einer jungen Jüdin. Esther soll am persischen Hof gelebt haben. Dort hat sie erfahren, dass eine mächtige Gruppe Minister ein antisemitisches Pogrom plant. Sie wollten alle jüdischen Menschen im Reich umbringen. Esther und andere mutige Menschen haben dem widerstanden. Es ist ihnen gelungen, den Großkönig auf ihre Seite zu ziehen. Das antisemitische Pogrom konnte verhindert werden.

 

Dann erzählt das Estherbuch noch, dass die Juden diese Rettung vor dem Pogrom jedes Jahr mit einem herrlich fröhlichen Fest feiern. Dem Purimfest. Sie fragen, wo ist da die Kraft des geschriebenen Wortes? Was haben Menschen, die von Esther lesen davon, für ihr Leben?Ich sehe diese Kraft des Buches gleich mehrfach:

 

Zum einen ist das Estherbuch eine Widerstandsgeschichte und so hat es oft gewirkt. Obwohl es wohl nicht historisch ist, eher romanhaft. Aber es verdichtet die Erfahrungen des Antisemitismus so, dass Juden daraus Widerstandskraft gezogen haben. Und es hilft auch heute, denn es deckt auf, wie Antisemitismus bis heute funktioniert. So ist Geschriebenes. Manchmal sieht es aus, als wäre es nur noch Asche. Und auf einmal spürt man die Glut und sie entfacht ein Feuer, indem man liest und versteht. Und Widerstand leistet, wenn Juden heute antisemitisch angegangen werden.

 

Die zweite Kraft der Erzählung: Es gibt einem Fest wie Purim Tiefe und Sinn. Ohne eine Erzählung werden Feste irgendwann zu bloßem Brauchtum oder Kommerz.

 

Und das dritte: Das Buch stiftet Identität. Davon erzählt das Estherbuch selbst im letzten Vers. Es wurde von Persien nach Jerusalem gebracht, dort übersetzt und ist schließlich auch zu den jüdischen Gemeinden in Ägypten gelangt. Und hat so das Judentum verbunden über tausende Kilometer.

 

„Wer lesen kann, hat mehr vom Leben.“ Das stimmt immer noch. Für unsere Kultur allgemein und für Religionen im besonderen. Wir Christen gehen auf Ostern zu. Auch dieses Fest lebt von der Kraft des Lesens. Wenn Ostern nur noch Brauchtum wäre mit Eiern und Hasen, wäre es leer. Aber Ostern erzählt Geschichten von der Überwindung des Todes. Darin ist Glut und Feuer zum Leben.

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28440
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