SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen. Im Leben geht es nicht ohne Vertrauen. Da werden Sie mir sicher zustimmen. Wenn ich abends ins Bett gehe, vertraue ich darauf, dass ich am nächsten Morgen wieder aufwache. Und wenn ich morgens aufstehe, vertraue ich darauf, dass alles noch so funktioniert wie am Tag vorher. Dass der Boden mich trägt. Dass vor meiner Haustür noch dieselbe Umgebung auf mich wartet. Dass die Menschen noch da sind, die zu meinem Leben gehören oder mit denen ich eine Verabredung habe. Wenn jeden Morgen alles auch ganz anders sein könnte, würde ich ja verrückt werden. Im Leben geht es nicht ohne Vertrauen.

Und erst recht kann ich mit anderen nicht zusammenleben ohne Vertrauen. Ich vertraue darauf, dass der Mensch, der gestern gesagt hat, dass er mich liebt, dies auch heute noch so meint. Wenn ich ständig fragen würde, „liebst Du mich noch“, würde das, glaube ich, ganz schön nerven. Eltern müssen darauf vertrauen, dass sie ihren Kindern so viel mitgegeben haben, dass die als Erwachsene im Leben dann selber klar kommen.

Und auch im Zusammenleben in einer Gesellschaft geht es nicht ohne Vertrauen. Das funktioniert ja so, dass Aufgaben abgegeben werden. Ich kann und muss mich nicht um alles kümmern. Geht gar nicht. Ich muss Aufgaben an andere abgeben. Ein anderer backt die Brötchen für mich. Ein anderer fährt die Straßenbahn, damit ich zur Arbeit komme. Es muss Institutionen geben, die sich kümmern. Um die Wasserversorgung zum Beispiel. Denen muss ich vertrauen, dem Bäcker, der Straßenbahnfahrerin, den Mitarbeitenden beim Wasserwerk. Und denen kann ich vertrauen, weil es klare rechtliche Regelungen gibt. Die sorgen dafür, dass das alles funktioniert und mit rechten Dingen zugeht.

Auch eine Demokratie lebt von Vertrauen. Ein Bekannter von mir ist im Gemeinderat. Im Mai sind wieder Wahlen. Er will wieder kandidieren. Ich habe ihn gefragt, was ihm dabei hilft, dieses Geschäft zu machen. „Mich haben die Leute gewählt“, hat er gesagt, „und haben mir das Vertrauen geschenkt. Sie hoffen, dass ich im Gemeinderat mit den anderen zusammen gute Lösungen für unseren Ort suche. Und jetzt ist es gut, dass wieder gewählt wird. Dann können die Leute sagen, ob sie zufrieden waren oder ob andere jetzt mal dran sind und Verantwortung übernehmen. Davon lebt ja die Demokratie. Dass Menschen stellvertretend für andere für eine bestimmte Zeit Verantwortung übernehmen. Dafür brauchen sie Vertrauen.“ Im Leben geht es nicht ohne Vertrauen. Was aber ist, wenn das Vertrauen enttäuscht wird? Darüber möchte ich mit Ihnen nach einer kurzen Musik weiter nachdenken.

II.

Vor kurzem habe ich gelesen, „Vertrauen ist wie ein Schatz. Es ermöglicht dem Einzelnen, stärker zu sein, als er es allein wäre. Vertrauen führt Menschen zusammen. Es ist, als wohne diesem Gefühl eine segnende, Frieden stiftende Kraft inne. Aber: Wer vertraut, der entscheidet sich auch bewusst dafür, sich verletzbar zu machen.“

Vertrauen wird zwischen Menschen immer wieder enttäuscht. Anders kann es gar nicht sein, weil es eben auch zum Menschsein gehört. Ich enttäusche die Erwartungen anderer. Ich mache Fehler. Ich versage. Was bleibt dann? Immer und allen misstrauen? Vorsichtshalber sozusagen? Aber kann man so leben? Dauernd misstrauisch?

Die Bibel erzählt, wie die Leute eine Frau zu Jesus bringen. Die haben sie beim Ehebruch inflagranti erwischt. Und da fragen sie ihn, um ihn zu testen: „Was sagst Du? Du weißt, dass das Gesetz bei Ehebruch die Todesstrafe vorsieht. Die Frau muss gesteinigt werden.“ Und Jesus schreibt mit dem Finger in den Sand auf dem Boden und sagt zu ihnen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Sie kennen vielleicht die Geschichte und wissen, dass die Leute alle weggehen, bis auf die Frau. Und Jesus fragt sie: „Wo sind die Leute? Hat Dich niemand verurteilt? Dann mache ich das auch nicht. Geh, aber tue von jetzt an kein Unrecht mehr.“

Mir fällt auf, dass Jesus das nicht übergeht, was im Leben der Frau schief gegangen ist. Er sagt zu ihr: „Du hast Mist gebaut, mach’s jetzt anders.“ Gerade wenn mich jemand enttäuscht hat, muss ich ihm das sagen, wie sehr mich das verletzt hat. Damit ein neuer Anfang möglich wird. Jesus jedenfalls hat das so gemacht. Und er hat der Frau zugetraut, dass sie es besser machen kann. Er schenkt ihr neu Vertrauen.

Sicher, es kann Vertrauensbrüche geben, da muss man sich dann aus dem Weg gehen. Hoffentlich muss ich das nicht oft erleben.

Denn: Sich zurückziehen macht einsam. Und es ändert nichts. Denn wenn ich das Vertrauen verliere, verschließt sich die Welt irgendwie. Alles wird enger. Die Offenheit verschwindet aus meinem Leben. Ich will mit keinem mehr etwas zu tun haben.

Es ist wahr. Ich kann nicht alles kontrollieren. Manchmal gibt es Enttäuschungen. Aber meine Erfahrung ist: Leben kann man nur, wenn man Vertrauen schenkt. Auch denen, die sich zur Wahl stellen und Verantwortung für andere übernehmen. Vertrauen muss ich immer wieder neu wagen, immer wieder neu schenken. Ich will kein misstrauischer Mensch sein. Ich will mein Leben nicht von schlechten Erfahrungen bestimmen lassen. Und um die Kraft dazu kann ich beten, jeden Morgen neu.

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute Woche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28357
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