SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Europa ist in der Krise. In meinen Augen spricht leider vieles dafür, dass es so ist. Die Bewegungen sind größer geworden, bei denen die Leute meinen, dass die Idee einer europäischen Gemeinschaft ihnen als Nation schaden würde. In den Zeitungen lese ich mehr von den Problemen Europas als von der Vision der europäischen Idee. Die Themen dazu heißen: Finanzpolitik, Jugendarbeitslosigkeit, Verteilung von Geflüchteten und Reformstau. Dabei ist die Idee von Europa doch nie eine Schönwetter-Idee gewesen.

Ich muss dabei an den Heiligen Benedikt denken. Heute ist sein Festtag. In der katholischen Kirche gilt er als der Patron Europas. Er hat in einer Zeit des Übergangs gelebt. Das Römische Reich der Antike hat sich langsam aufgelöst und das, was in den Jahrhunderten des Mittelalters entstehen sollte, war noch nicht in Sicht. Die Leute in den Städten haben keine festen Werte mehr gehabt, die Sitten sind zerfallen. Und der Mittelmeerraum war von der Völkerwanderung überzogen. Ich habe immer gedacht, dass da Volksstämme mit ganzen Familien durch Europa gezogen sind, aber vermutlich waren es eher Verbände von Kriegern, die etwas erbeuten wollten und auf der Suche nach Versorgung waren. Das erinnert schon an die heutige Zeit, wo Menschen, die vor Krieg flüchten hier ankommen, und die jungen Menschen aus Polen, Rumänien, Italien und Spanien weggehen, weil sie nach einer Arbeit und auch nach Versorgung suchen. Wie heute waren die Leute damals damit konfrontiert, dass immer neue Fremde zu ihnen gekommen sind.

Benedikt von Nursia hat in dieser Zeit aber gerade nicht eine weitere Abspaltung und Zerteilung propagiert. Er hat sich erst einmal zurückgezogen und dann mit seinen Freunden etwas Neues angefangen. Sie haben Klöster gegründet und sich versprochen, dass sie fest an dem Ort bleiben, wo sie sind. Dieses Versprechen hat bewirkt, dass ihre Klöster zu Ankerpunkten geworden sind. In diesem Umfeld, wo alles in Bewegung ist. So sind Klosterbibliotheken entstanden, in denen Mönche das Wissen der ganzen damaligen Welt über verschiedene Kulturen hinweg gesammelt haben. Sie sind zur Keimzelle der europäischen Kultur geworden.

In ihren Klöstern haben sie christliche Werte gelebt. Bis heute ist das so. Wie den Wert der Gastfreundschaft, bei dem der Fremde so behandelt wird, als ob er Christus wäre. So schreibt Benedikt es in seiner Regel.

Wenn ich heute versuche, mit den Augen Benedikts auf Europa zu schauen, bekomme ich Lust, mir zu überlegen, was ich als Christ dazu beitragen kann, dass in Europa eine neue Kultur des Friedens wächst. Vielleicht gibt die Regel des Benedikt dazu sogar den ausschlaggebenden Impuls: Wenn ich anderen zuhöre mit ihren Sorgen und bereit bin, Christus in dem zu erkennen, der als Fremder zu mir kommt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28337
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