SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Heute ist Frühlingsanfang. Zumindest laut Kalender. Im Frühling gehe ich besonders gerne mit offenen Augen durch die Natur. Auch wenn ich an manchen trüben Tagen kaum etwas sehen kann, ist der Frühling im Werden. In der Natur verändert sich einiges. Schritt für Schritt. Am einen Tag sehe ich plötzlich eine Knospe, am anderen Tag ist alles unter einer Raureif- oder Schneedecke verborgen. Trotzdem lässt sich der Frühling nicht aufhalten.

Deshalb mag ich ihn so gern. Weil er zeigt, dass auch das, was ich nicht immer sehe, Wirklichkeit ist; dass es eine Entwicklung gibt, die zu Blüte und Leben führt. Nicht umsonst feiern wir Christen im Frühling Ostern und bekennen so, dass diese Entwicklung hin zum Leben nicht mal durch den Tod begrenzt wird.

Und das gilt schon für das ganze Leben. Wenn ich nur ans Erwachsenwerden denke oder die Zeit der Lebensmitte. Was sich da verändert, ist ja nie so, dass ich an einem Tag den Hebel umlege und dann ist alles anders. Dass ich morgens nicht mehr mit Elan durchstarte wie früher und abends mehr Zeit brauche, um mich zu erholen, kommt nicht von heute auf morgen. Veränderungen kommen mit der Zeit, manchmal sieht es nach Stillstand oder Rückschritt aus, obwohl es hinter dem oberflächlichen Anschein doch vorwärts geht. Es ist wie die Natur im Frühling. Auch wenn ich es nicht jeden Tag sehe, verändert sich immer etwas. Nur in Bezug aufs Alt- oder Älterwerden klingt das nicht so prickelnd als wenn ich vom Frühling spreche.

Na ja, beim Frühling geht es eben auf die Blüte und die Entfaltung zu, mit dem Älterwerden verbinde ich aber auch Einschränkungen. Dabei könnte ich doch auch die Seiten an mir sehen, die sich weiter entwickeln. Ich bekomme einen weiteren Erfahrungshorizont, werde gelassener und habe mehr Geduld mit den Leuten um mich rum. Und wenn ich auch vermutlich mehr Zeit als früher zum Ausruhen brauche und mich mehr schonen muss, dann kann ich es mir leisten, weil ich ja nicht bei allem von Grund auf anfangen muss. 

In der Natur bleibt es ja auch nicht ewig Frühling. Die Pflanzen bleiben nicht in der Blüte stehen. Sonst gäbe es keine Früchte und ich könnte nichts ernten. Es braucht sogar den Herbst als eine Phase, in der die Natur ausruht und neue Kraft schöpft.

Im Frühling ist es für mich nur am stärksten deutlich, dass alles im Übergang ist. Und das Ziel des Übergangs ist das Leben. Auch wenn es nicht jeden Augenblick zu sehen ist: Es ermutigt mich auch als Christ in meiner Hoffnung, dass ich niemals stehenbleiben werde, bei dem was ist. Sondern neugierig bin auf den Übergang zum Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28336
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