SWR2 Wort zum Tag

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Wer bin ich? Was macht uns aus? Wer sind wir? Auf diese Fragen antworten wir oft mit Geschichten. Wenn ich erzähle, was mich familiär ausmacht, dann erzähle ich oft von gemeinsamer Arbeit auf dem elterlichen Bauernhof. Vor der Schule schon Spargel ernten. Wie anstrengend das war für uns Geschwister, aber auch, dass daraus ein großer Zusammenhalt erwachsen ist. Und ich hoffe, wenn ich das erzähle, dass so auch Familienidentität an die Nachfolgenden weiter fließt. Geschichten transportieren Identität und wollen Zukunft stiften.

Es ist darum nicht egal welche Geschichten wir erzählen. Wir streiten damit auch um Identität. Europa erlebt das gerade sehr brisant. Englische Brexiteers erzählen nicht vom Frieden, der durch die europäische Einigung erreicht worden ist. Im Gegenteil, seit den 1990er Jahren werden in England immer öfter Geschichten erzählt, die den Nationalismus stark machen.

Geschichten sind Identitätsgefäße und sie machen Zukunft. Sie erzählen wer wir sind, wohin wir wollen und wer wir werden möchten. Sie haben immer diesen Überschuss. Identität ist ja nie abgeschlossen, sie entscheidet sich in der Zukunft.

Welche Geschichten sind dann erzählenswert für Europa? Welche Zukunft wünschen wir uns? Ich glaube, nationale Geschichten nicht. Oder nur dann, wenn sie darüber hinausweisen. In eine europäische Zukunft. Ich finde erzählenswerte Geschichten für Europa auch in der Bibel. Neben vielen säkularen, die ich erzählen könnte.

Eine biblische Europa-Geschichte handelt von Lydia. In der Apostelgeschichte ist sie die erste Europäerin, die Christin geworden ist. Eine Frau. Alleinstehend vermutlich. Sie hat gearbeitet für ihren Lebensunterhalt. Und sie war Migrantin. Eingewandert aus der Türkei nach Griechenland, der Arbeit wegen.

Sie hatte mit Purpur zu tun. Dem kostbaren roten Farbstoff.Eine selbständige, arbeitende, nach Europa eingewanderte Frau wird die erste Christin Europas. Diese Frau finde ich wahrhaft erzählenswert für meine Identitätsbildung. Für die private und die politische als Europäer.

Lydia hat sich angesprochen gefühlt von der Botschaft von Jesus Christus und seinem Gott. Der für Liebe steht, für Frieden und Gerechtigkeit, dem alle Menschen gleich wert sind. Männer Frauen, egal woher. Diesem Gott und seinen Werten hat Lydia sich verschrieben. Eine Europäerin aus der Türkei.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28216
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