SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Mama, kann ich eines Tages auch Bundeskanzlerin werden?“, fragt der Junge seine Mutter. Wir Frauen schmunzeln, aber klar: alle die deutlich jünger als 20 Jahre sind, haben nur Angela Merkel als Bundeskanzlerin erlebt.

Aber auch Annegret Kramp-Karrenbauer, Andrea Nahles und Sarah Wagenknecht haben politischen Einfluss. Wenn ich auf diese kleine Auswahl mächtiger Frauen schaue, muss ich eigentlich sagen: Hut ab, wir Frauen haben unser Ziel erreicht. Der Weltfrauentag, der 1911 eingeführt wurde, sollte überholt sein. Über den Zugang zum Frauenwahlrecht denken europäische Frauen spätestens seit 1984, als endlich auch Liechtenstein das Wahlrecht für Frauen einführte, nicht mehr nach. Das ist wunderbar, ich kenne kein anderes Deutschland.

Damit können wir Frauen doch zufrieden sein, oder?

Aber es gibt da auch noch andere bemerkenswerte Frauen. Zum Beispiel Gloria Allred. Sie ist mittlerweile 77 Jahre und arbeitet seit ihrem 30. Lebensjahr als Anwältin in den USA. Ihr Markenzeichen ist rote Kleidung:  allred – alles rot. Als junge Frau wurde sie vergewaltigt und entschied sich, sich für die Rechte von Frauen einzusetzen, wo immer es nötig war. Und es ist an vielen Stellen bis heute bitter nötig. Lange vor der „Me too“- Debatte kämpfte sie schon für die Rechte der Frauen und dafür, dass Männer für das, was sie Frauen antun, zur Rechenschaft gezogen werden. Sie vertrat die Frauen im Prozess gegen Bill Cosby und unterstützte sie in der Überzeugung, dass man einen höheren Preis dafür bezahlt, den Mund zu halten, als aufzustehen und etwas zu sagen.

Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern..." So steht es in Artikel 3 des Grundgesetzes.  Davon sind wir leider immer noch weit entfernt, sei es bei gleichem Lohn für gleiche Arbeit, der angemessenen Vertretung in Parlamenten oder in Wirtschaftsvorständen oder bei den Möglichkeiten Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Da ist noch Arbeit für die nächsten 100 Jahre!

Ich arbeite bei einem Arbeitgeber, der wahrscheinlich noch 1000 Jahre vor sich hat, bevor der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ Eingang in die Gedankenwelt und die Gesetzestexte findet. Im ersten Buch der Bibel lese ich zwar, dass Gott den Menschen als Mann und Frau erschuf – also gleichberechtigt. Und ich kenne die vielen starken Frauen in der Bibel: Mirjam, die Schwester des Mose, die zu seiner Rettung beitrug, die Stammmütter unseres Glaubens Sarah und Rebekka, Junia, die den Apostel Paulus zusammen mit ihrem Mann unterrichtete.

Ich kenne wunderbare Theologinnen wie Hildegard von Bingen und Dorothee Sölle.

Und ich sehe die Altarräume in unseren Kirchen, die nur der einen Hälfte der Menschheit vorbehalten sind. Und trotzdem hoffe ich, dass ich die Fragen meiner Ur - Enkel noch erleben darf: „Oma, meinst Du ich könnte auch Päpstin werden?“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28211
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