SWR4 Abendgedanken

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In der Lasche meiner Handy-Hülle steckt eine Visitenkarte. Es ist die Visitenkarte eines  Weingutes in Österreich mit einer handgeschriebenen Mobilfunknummer. Sie erinnert mich an einen Radausflug entlang der Donau im vergangenen Jahr. Wir waren mit dem Schiff unterwegs und hatten einige Stunden Zeit für einen Landausflug. Mein Mann und ich hatten uns Fahrräder geliehen und waren damit einige Kilometer entlang der Donau gefahren. Plötzlich hatte mein Fahrrad einen Platten – und wir hatten keine Möglichkeit, ihn zu reparieren. Zudem waren wir in einem winzigen Ort, in dem es nur die Kirche, einige wenige Häuser und zwei Winzerbetriebe gab.

Die Winzer waren mitten in der Weinlese, die kleinen Traktoren mit den Körben voll Weintrauben fuhren hin und her und jedermann war beschäftigt, die Trauben zu versorgen und zu verarbeiten.

In unserer Not fragten wir beim ersten Winzerbetrieb nach, ob sie uns helfen könnten. Dort war nur eine Frau zuhause: „Alle Männer sind im Weinberg, aber fragen sie doch nebenan“, war die Antwort.

Nebenan waren auch alle beschäftigt Trotzdem überlegten die Winzerleute dort mit uns, wo die nächste Werkstatt ist – nämlich im Nachbarort. Und wie wir dort hinkommen könnten. Wären sie nicht mitten in der Lese gewesen, hätten sie unsere Räder aufgeladen und uns gefahren. So aber blieb uns nichts anderes übrig, als die zwei Kilometer bis dahin das Fahrrad zu schieben. Und für den Fall, dass es wir doch noch unerwartete Schwierigkeiten bekämen, schrieben sie uns ihre Mobilfunknummer auf die Visitenkarte.

Letztendlich hat uns unser Reiseveranstalter aus der misslichen Lage befreit. Geblieben ist uns die Erinnerung an diese gastfreundliche Erfahrung trotz all der Arbeit, die in diesem Moment für die Winzer anstand.

Warum ist diese Visitenkarte dieser Winzer immer noch so präsent in meiner Handyhülle? Weil sie mich an unerwartete Hilfe und Freundlichkeit erinnert. Die Winzer nahmen sich trotz ihrer Arbeit den kurzen Moment Zeit für uns, um uns anzuhören und uns eine Hilfestellung zu geben, um uns das Gefühl zu geben, nicht allein mit unserer Panne zu sein. Konkret war das nur eine kleine Hilfestellung, aber es war für uns in dieser Situation hilfreich und vor allem wohltuend: da lässt mich einer nicht stehen, sondern schaut mich an.

Ich habe die Erinnerung an diese Situation dann   immer besonders nötig, wenn ich selbst in Stress und Zeitnot gerate. Denn dann werde ich knauserig und geizig mit Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, wenn jemand etwas von mir möchte. Dann gibt diese Karte mir immer den Anstoß, an diese guten Erfahrungen zurückzudenken und es gelingt mir oft, ebenfalls den anderen in Blick zu nehmen und freundlich auf ihn zuzugehen. Und deshalb bleibt diese Visitenkarte bis auf Weiteres in meiner Handyhülle.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28210
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