SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Hallo Benjamin, es ist Zeit für deine Übung.“

So meldet sich mein Handy dreimal am Tag bei mir – morgens, mittags und abends. Es ist kein Fitness-Programm, das mich zum Sport ruft, sondern eine App der evangelischen Kirche. Ich soll ein paar Minuten still werden, zur Ruhe kommen und beten. Dabei erscheinen Fragen auf dem Display wie „Wonach sehnst du dich gerade?“ oder „Wo nimmst du Gottes Gegenwart wahr?“

Ich genieße diese Unterbrechungen. Denn sie helfen mir dabei, mir Zeit zu nehmen, die sonst schnell mit Arbeit und Trubel gefüllt wäre. Zeit für Gott, Zeit für mich und meine Seele.

Mit der App überlege ich morgens, was den Tag über auf mich zukommt und wo Gott mir da begegnet: Beim Familienfrühstück? In der Schule? Am Schreibtisch? In der Sitzung mit dem Pfarrgemeinderat?

Mittags und abends schaue ich auf den Tag: Wem bin ich begegnet? Was habe ich erlebt? Was kam anders als ich das morgens gedacht habe? Und wieder die Frage: Wo habe ich Gott gespürt?

Am Anfang ist es mir schwer gefallen, auf diese Frage zu antworten. Ich glaube zwar, dass Gott immer bei mir ist, aber das mache ich mir normalerweise nur selten klar. Seit ich jeden Tag darüber nachdenke, rückt es mehr in mein Bewusstsein. Zum Beispiel wenn ich ein schwieriges Gespräch mit einer Schülerin habe oder wenn ich gerade im Stau stehe und zu spät zu meinem nächsten Termin komme. „Gott ist jetzt bei mir.“ Der Gedanke ploppt wie eine Sprechblase plötzlich in meinem Alltag auf. Das stärkt mich und nimmt den Druck aus manchen Situationen, weil es mir neue Perspektiven aufzeigt: Ich glaube, dass ich nicht allein bin. Dass es mehr gibt als den Termin oder das Problem, an dem ich gerade dran bin.

Ich hab das richtig üben müssen, bis ich das bemerkt habe. Aber durch diese Übung und dadurch, dass ich meinen Tag regelmäßig unterbreche, habe ich das Gefühl, dass Gott in meinem Leben präsenter geworden ist. Die Kirche nennt solche Übungen Exerzitien. Man macht sie, um Gott intensiver zu begegnen. Und weil Menschen ganz unterschiedlich sind und viele Wege zu Gott führen, gibt es Exerzitien in ganz verschiedenen Formen: Schweigeexerzitien im Kloster, Wanderexerzitien in einer Gruppe, Exerzitien, bei denen die Bibel im Vordergrund steht oder bei denen Bilder gemalt werden. Oder eben die Form, die ich gerade für mich entdeckt habe: Exerzitien mit dem Smartphone.

Durch einen einfachen Satz: „Hallo Benjamin. Es ist Zeit für deine Übung.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28150
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