SWR2 Wort zum Tag

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Noch sind die Eindrücke und Gefühle von gestern lebendig, der heilige Abend, die Christmette, Geschenke und Gespräche. Es liegt nahe, in diesen Tagen auch nach der Hauptperson zu fragen: Wie geht es Gott eigentlich? Die Antwort der Glaubenden heißt kurz und bündig: Es geht ihm so gut wie nie, denn er hat sein Ziel erreicht, er ist Mensch geworden. Endlich hat er wenigstens einen Menschen gefunden, durch den er wirklich zur Welt kommen konnte. Bernhard von Clairvaux, ein großer Glaubenslehrer der Christenheit, hat sich dieses Weihnachtsgeheimnis plastisch vorgestellt. In einer Predigt sagt er: „Als Gott sein edles Geschöpf, den Menschen, wiedergewinnen wollte, sagte er zu sich selbst: Zwinge ich ihn gegen seinen Willen, so habe ich einen Esel, keinen Menschen. Denn von sich aus und freiwillig wird sich der Mensch für mich nicht interessieren. Aber soll ich, fragt Gott, mein Reich Eseln anvertrauen? Oder soll ich als Gott um Ochsen werben?“ Bernhard bringt die Mitte des Weihnachtsglaubens auf den Punkt: Gott wirbt um den Menschen; nichts ist ihm wichtiger, als bei ihm anzukommen und Resonanz zu finden. Das Geheimnis, das wir Gott nennen, ist also nicht beziehungslos, nicht selbstzufrieden. Mit und in Gott ist vielmehr eine gewinnende Liebe am Werk, Lust und Leidenschaft. Wie ist das, wenn ein Mann um eine Frau wirbt? Wie geht es Frauen, die einen Mann in ihren Bann ziehen? Wie können wir einen anderen Menschen für uns einnehmen und sein Herz gewinnen? Genau das ist Gottes Thema. Fast hätte ich gesagt: sein Problem. Wie kann er beim Menschen an- und zur Welt kommen? In Jesus wird klar: Gott sucht erwachsene Menschen, die sich in Freiheit von ihm gewinnen lassen. Jesus ist der Mensch, der sich von Gott sozusagen abwerben und gewinnen ließ. Gott wird Mensch, das heißt dann auch: dieser Mensch lässt Gott in seinem Leben zur Welt kommen, er ist ganz und gar erfüllt von jener Liebe, die wir Gott nennen.
Bernhard erzählt die Geschichte auf spannende Weise weiter. Er hält fest: Zwang ist keine Lösung. Mit dem Kopf durch die Wand, das ist der Liebe nicht förderlich, Druck auch nicht. Der zweite Versuch Gottes nach Bernhard: „Damit der Mensch freiwillig kommt, will ich ihm Schrecken einjagen. Vielleicht bekehrt er sich dann und lebt.“ Oft genug hat man auch in der Kirche mit Gottesgeboten gedroht, vom Höllenfeuer gesprochen und Gottes Schrecken verbreitet. Aber solche Drohbotschaften imponieren in Wahrheit nicht. Bernhards Fazit: „Der Mensch ließ sich davon nicht beeindrucken. Da sagte Gott: er hat nicht nur eine Anlage zur Angst, sondern auch eine Anlage zur Begierde. Ich will ihm das versprechen, was ihm am ersehnlichsten erscheint.“ Und er malt uns Menschen den Himmel vor Augen, die ewige Seligkeit, rundum Glück und Segen. Gott versprach ihnen, so Bernhard, „das ewige Leben… Was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört und was in keines Menschenherz gedrungen ist“. Aber weder Zwang noch Drohung, weder das Spiel mit der Angst noch die Lockmittel eines himmlischen Paradieses können unsereinen wirklich überzeugen.
Bernhards Resümee also: „Als Gott sah, dass auch das nichts half, sagte er sich: jetzt bleibt nur noch eines übrig: im Menschen wohnen nicht nur die Angst und die Begierde, sondern auch die Liebe, und nichts zieht ihn stärker. So ging Gott ins Fleisch ein.“ Gottes Fazit: Glaubhaft ist nur Liebe, die um uns wirbt.
Noch mal zurück: Wie geht es der Hauptperson heute, wie geht es Gott? Antwort: in Jesus von Nazareth hat er einen Menschen endlich schon gefunden, in dem er zur Welt kommen konnte. In diesem Menschen aus Nazareth taucht der lebendige Gott mitten unter uns auf. „Wo ist Gott? Wo man ihn einlässt“ – wie Jesus. Offenbar wird die unglaubliche Würdigung des Menschen durch diesen Gott, der ihn gewinnen will. Welcher Schatz muss der Mensch sein, dass Gott sich so um ihn bemüht. Aber umgekehrt: was für ein Gott ist das, der nicht totalitär mit Gewalt und Zwang, nicht verführerisch durch alle möglichen Illusionen und Versprechungen, sondern reineweg aus Lust und Liebe den Menschen, uns Menschen als Partner will. Ochs und Esel stehen an der Krippe, und das ist gut so, die ganze Tierwelt, der ganze Kosmos gehört dazu. Aber wir Menschen sind gewürdigt, uns als Partner Gottes zu verstehen: kein Zufallstreffer in der Evolution, kein Glückslos und auch keine Nullnummer in der Geschichte, nein: Gottes erwählte Partner wie er, Jesus von Nazareth… Immer noch also: gesegnete Weihnacht.


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