SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Nie hat ein Mensch nach irgendetwas so sehr begehrt, wie Gott danach begehrt“, beim Menschen zu sein. Dieser Satz von Meister Eckhart wäre ohne Weihnachten nicht möglich. Dass wir Menschen begehrende Wesen sind, ist ständig spürbar – auch das Glück des Schenkens und Beschenktwerdens gehört dazu. Aber dass Gott selbst voller Begehren sei – das ist ein schier unglaublicher Gedanke. Der Thüringer Glaubenslehrer sagt: unser menschliches Begehren ist nur ein Pappenstiel gegenüber der heftigen Sehnsucht, die den lebendigen Gott umtreibt. Die ganze Bibel erzählt davon, wie Gott sein Volk umwirbt und um Gegenliebe förmlich bettelt. „Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb, ich rief meinen Sohn aus Ägypten … mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe“ – so heißt es zum Beispiel beim Propheten Hosea. An Weihnachten wird dieses Geheimnis des werbenden Gottes gefeiert, er sucht Mitliebende. In Jesus Christus hat er einen Menschen wenigstens schon gefunden, bei dem er mit seinem Begehren hat ankommen können. Mit ihm ist er einig geworden in allem, und so verehren wir in Jesus die Menschwerdung Gottes selbst. Hier kommen sie zusammen: der begehrende Gott und der begehrende Mensch, hier geschieht jene heilige Kommunion zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Welt, die Meister Eckhart meint.
100 Jahre vor ihm hatte Franz von Assisi dieses Geheimnis des begehrenden Gottes für sich neu entdeckt. Selbstdarstellerisch begabt wie kaum einer zuvor, erfand er das Krippenspiel, leibhaftig inszeniert er die Krippe mit Ochs und Esel und dem Kind darin. Franz zeigt den heruntergekommenen Gott, der bedürftig ist wie ein Kind und im Stall der Menschheitsgeschichte sich zeigt: nicht großmächtig, nicht von oben herab, nein, von ganz unten, in der Haltung bedürftiger Armut und begehrender Liebe. Für Franz von Assisi war klar: die wichtigste Eigenschaft des lebendigen Gottes ist seine Demut, seine humilitas: er will geerdet sein, er will auf den Boden unserer Tatsachen herunterkommen, und da entdeckt werden – nicht in irgendeinem imaginären Himmel, nicht in einer Traumwelt voller Projektionen und Illusionen, nein, mitten zwischen uns Ochsen und Eseln, eben im Alltag mit seiner Schönheit und seiner Banalität.
Lebendiger noch als Eckhart und Franz hat eine Frau vom begehrenden Gott geschrieben. Katharina von Siena betet: „Du Feuer und Abgrund der Liebe … Du Narr aus Liebe, brauchst Du denn Dein Geschöpf? Es scheint mir so, denn Du benimmst Dich, als ob Du ohne es nicht mehr leben könntest. Dabei bist doch Du das Leben, von dem alles das Leben hat und ohne das nichts lebt. Warum also bist Du Deinem Geschöpf so närrisch zugetan?
Weil Du Dich in Dein Geschöpf verliebt hast, fandest Du an ihm Dein Wohlgefallen und Entzücken und bist berauscht von der Sorge um sein Heil. Es entflieht Dir, und Du machst Dich auf die Suche nach ihm, es entfernt sich von Dir, und Du fühlst Dich getrieben, ihm nahe zu kommen. Noch näher konntest Du ihm nicht kommen, als Dich mit seinem Menschsein zu bekleiden.“
Hier wird das Weihnachtsgeheimnis lebendig: der begehrende, der verrückte, der völlig verliebte Gott – der Schöpfer, der sein Geschöpf wie wahnsinnig sucht. Näher konnte Gott uns Menschen nicht kommen denn als Mitmensch. „Erschienen ist uns tatsächlich die Menschenfreundlichkeit Gottes“. Unfassbar: nicht nur das Begehren des Menschen, nein: diese begehrende Liebe Gottes, er will zur Welt kommen: was in Jesus von Nazareth endgültig geglückt ist, soll überall wahr werden, auch bei Ihnen und mir. In diesem Sinne also gesegnete Weihnachten: machen sie es wie Gott, werden Sie Mensch.
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