SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Das gibt’s doch nicht, das darf doch nicht wahr sein“. Wer so etwas herausruft, ist total überrascht. Ist das ein Nackter auf der Straße, eine fliegende Untertasse im Vorbeiswitchen oder einfach ein verrückter Regenbogen - in jedem Fall ist man von etwas erwischt worden, das einen völlig irritiert. Das darf doch nicht wahr sein! Solche Überraschungen können auch im Alltäglichen passieren: da erwarte ich aus gutem Grund Konflikt und Auseinandersetzung; stattdessen geht alles federleicht und wie geschmiert. Unglaublich. Da ruft ein lieber Mensch an, wo es mir schlecht geht. Urlange habe ich nichts von ihm gehört, und grade jetzt tut mir seine Stimme am Telefon so gut.  Das gibt’s doch nicht. Die Verneinung meint selige Überraschung. So wie die Frau, der man den Blumenstrauß schenkt: das ist aber nicht nötig. Recht hat sie. Geschenke sind nicht nötig, nein, sie sind mehr als nötig, wir leben von ihnen. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagt ein Sprichwort zwischen Staunen und Resignieren. Doch, es gibt Dinge, die den normalen Erwartungszusammenhang völlig sprengen - im Sensationellen wie im Alltäglichen. „Das gibt’s doch nicht“ – und doch ist genau das der Kick.

Wohl in diesem Sinne formulierte der Künstler Ernst Barlach den viel zitierten Satz: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“. Ein Gott, den man besitzt wie einen Gegenstand, wäre in Wahrheit keiner.  Er ist nicht nötig. In dieser Verneinung steckt das Wunder. Was es so gibt, ist bei weitem nicht alles. Es muss mehr als alles geben. In der Sprache können wir das nur erfassen, wenn wir es verneinen. Das gibt’s doch nicht.

„Es gibt nicht ` Gott`, es spricht ein unentwegtes Geben, /in dem ER selber wird, in Dasein und Entschweben.“  (Cherubinischer Staub. Gedichte, Berlin 2018, 27) Schön bringt der Dichter Christian Lehnert das auf den Punkt: Gott, der Lebendige, der Wirkliche und Wirkende, den gibt es nicht wie Baum und Auto und Mensch. Der ist ganz anders, sonst wäre er nicht Gott.  Wer den sucht und ihm gar begegnet, der sagt dankbar: „Das gibt’s ja nicht.“ Dieser Gott wird erst, indem er gibt – unentwegt, freigebig, verlässlich.  Sonst gäbe es nichts.  Und das spricht uns ständig an. Wie oft sagen wir, es gibt das und das. Nein, er gibt. Er ist der Geber, die Gabe und das Geben. In der banalen Alltagsformulierung „es gibt“ steckt das Wunder des Daseins im Ganzen, im Großen und Kleinen: ein „unentwegtes Geben“ – nicht zu fassen und doch gegenwärtig. Sonst gäbe es ja nichts. Gott ist der Geber, die Gabe und das Geben.  Alles ist sein Geben, ich bin mir vorgegeben. Und das, was es heute gibt, auch. Wir sind Empfangende und Mitgebende. Dass es die Welt gibt und Sie und mich und diesen Tag - das darf doch nicht wahr sein, das gibt’s doch nicht. „Es gibt nicht `Gott`, es spricht ein unentwegtes Geben,/in dem ER selber wird, in Dasein und Entschweben.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28072
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