SWR4 Abendgedanken

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„Aber es ist halt keine Braut“. Diesen Satz habe ich zufällig beim Einkaufen aufgeschnappt. Bei den Einkaufswägen ist ein junger Mann gestanden, hat noch eine geraucht und sich mit einer Bekannten unterhalten - allem Anschein nach über seine Beziehung. „Nächsten Monat sind es zwei Jahre, die ich dann mit ihr zusammen bin. Es ist ganz ok mit ihr, sie ist echt lieb aber – ja, sie ist nicht so ne Braut wie die andere davor“. Was für ein oberflächlicher Typ, hab ich gedacht. Seine Freundin oder Ex-Freundin als „Braut“ zu bezeichnen finde ich nicht gerade wertschätzend. Für ihn scheint das Äußere ziemlich wichtig zu sein. Die Frau an seiner Seite muss gut aussehen, so dass man sie vorzeigen kann.  Diesen Kriterien scheint die aktuelle Freundin nicht zu entsprechen.

Ich habe meinen Einkaufswagen dann ein paar Meter weiter um die Ecke geschoben, rein ins Einkaufszentrum.  Dort sind auf einer Bank ein paar Jugendliche gesessen, ein belegtes Brötchen in der Hand – und schauten auf die Wand gegenüber: Auf ein riesiges Foto, sicher zehn Quadratmeter groß; die Werbung des Unterwäsche-Geschäftes gegenüber. Eine attraktive Frau, im hübschen Dessous, ist da zu sehen. Kein Wunder, wenn junge Männer von „Braut“ reden. Ich war drauf und dran, meine katholisch-moralischen Augenbrauen hochzuziehen.

Aber der Anblick der Schönen auf dem großen Foto hat mich an ein Schlüsselerlebnis erinnert: Vor einigen Jahren bin ich in Florenz zum ersten Mal in die Welt der Skulpturen eingetaucht. Sie sind dort überall zu finden, in den Museen ebenso wie auf den Plätzen der Stadt. Meist unverhüllt. Antike Götter, Helden und engelsgleiche Wesen, aus Bronze, Stein und aus weißem Marmor. Ich war fasziniert von der Schönheit und Zartheit der Werke. Ich habe die Darstellung des menschlichen Körpers noch nie so anmutig, ja erotisch wahrgenommen wie in den Werken dieser Bildhauer. Natürlich habe ich auch die berühmteste aller Skulpturen betrachtet, den David von Michelangelo. Die Skulptur ist mehr als fünf Meter hoch, aus weißem Marmor, und trotz dieser Dimension besitzt der Körper eine Feinheit, wirkt anmutig und sinnlich. Eine Schönheit, die mich regelrecht überwältigt hat.  Michelangelo war ein frommer Mann. Er war erfüllt von einem tiefen Glauben an Gott und dessen Schöpfung. Die Schönheit des Menschen hat ihn besonders fasziniert.

Ich habe mich nochmals umgedreht, die Schöne auf dem Foto im Dessous angesehen, dann die Jugendlichen -  und keine Augenbraue hochgezogen, sondern an Florenz gedacht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28062
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