SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Zum Jahreswechsel sind wir umgezogen. Von einer Wohnung in ein Haus. Beim ersten Frühstück hat mein Sohn ganz andächtig aus dem großen Fenster gesehen und gesagt: „Das ist ein richtiges Luxushaus. Es ist wie in einem schönen Hotel“. Nein, wir haben weder das Meer noch einen See vor der Haustüre. Es sind die Weite, das Licht und das Grün, die ihn faszinieren. Der Blick in den Garten, auf die Bäume des Nachbarn, samt Eichhörnchen, die im Garten turnen. Dazu die Schlichtheit des Hauses, quadratische Zimmer, in jedem eine ganze Wand als Fensterfläche.

Es ist uns allen so gegangen. Es war wie durchatmen, wir haben uns irgendwie frei gefühlt.

Doch die Ernüchterung kommt schnell: Den Inhalt der vielen Kisten im Haus unterzubringen, gelingt nicht. Die großen Fensterflächen lassen nur wenig Möglichkeit Schränke zu stellen, wir haben weniger Stauraum als in der Wohnung zuvor. Ich schimpfe über die Unmengen an Büchern und Kaffeetassen, über das x-te Dusch-Handtuch und das 25. T-shirt. Über die Schuhe möchte ich gar nicht sprechen.

Ich denke immer wieder zurück an das, was mein Sohn am ersten Morgen gesagt hat, es sei hier wie in einem schönen Hotel – wir hatten die ersten Tage tatsächlich so gelebt: jeder hatte einen Koffer mit dem Wichtigsten gepackt. Es fehlte nichts. Die Beschränkung tat gut, die weiten Räume auch.

Doch mit jeder Kiste, die ich ausgepackt habe, ist das Urlaubsfeeling weiter geschwunden und die Fragen haben sich zugespitzt: Brauche ich all die Dinge und wozu? Wovon kann ich lassen und was hindert mich daran, dieses oder jenes Stück in die Mülltonne zu werfen? Am Ende mündet alles in eine zentrale Frage: Was macht mich aus und was soll von mir einmal bleiben? Eine letzte Antwort habe ich bisher nicht – aber eine Ahnung hat sich entwickelt. Und die hat mir ganz praktisch geholfen, unsere Kisten auszusortieren. Ich weiß jedenfalls: Ich möchte nicht über Materielles definiert werden, sondern über mein Tun, mein Reden, mein Schreiben, meine Einstellung.

Das Gefühl jenes ersten Morgens im neuen Haus, das Gefühl der Freiheit, des Durchatmens, das möchte ich bewahren: Ich will Urlaubs-Gast in meinem Haus bleiben. Zumindest manchmal. Meinen Kleiderschrank habe ich großzügig entrümpelt und mit einer Second-Hand-Boutique der Caritas den passenden Abnehmer gefunden. Geschirr kommt zum nächsten Flohmarkt der Kirchengemeinde. Auch von vielen Büchern habe ich mich schweren Herzens getrennt – und ich habe mir eine Kruscht-Kiste gemacht – so eine, wie mein Sohn sie schon lange besitzt. Seine ist gefüllt mit Krims-Krams. Meine mit ausgewählten Erinnerungen: Mit der Medaille einer gewonnenen Kreismeisterschaft, dem Kreuz von der Firmung, dem Foto mit meinen Großeltern, dem Poesie-Album aus der Grundschule.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28061
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