SWR3 Gedanken

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Die junge Journalistin Valerie Schönian hat sich etwas angewöhnt. In Berlin, wo sie lebt und arbeitet, geht sie an keinem Bettler mehr vorüber, ohne ihm etwas Geld in seinen Pappbecher oder die ausgestreckte Hand zu legen. Und Bettler gibt es einige in der Hauptstadt.

Was sie beschreibt hat mich nachdenklich gemacht. Denn die Argumente, die dagegen sprechen, ständig was zu geben, kenne ich ja alle selber. Sie gehen auch mir durch den Kopf, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit an solchen Menschen vorbeikomme. Man kann nicht immer jedem was geben, etwa. Oder: Du unterstützt damit auch das gewerbsmäßige Betteln. Das stimmt beides und auch wieder nicht. Denn trotz Sozialsystemen gibt es ja diese Not. Sie wird konkret in dem alten Mann in abgetragenen Klamotten, der jeden Morgen an derselben Straßenecke sitzt. In der jungen Frau aus Osteuropa, die ihr Kind auf dem Arm hat und um eine Gabe bettelt. Und als Christ geht mir da natürlich auch ein Satz Jesu durch den Kopf: Was ihr dem Geringsten tut, das tut ihr mir. Die junge Journalistin sagt auch, dass sie die paar Euro in der Woche nicht arm machen. Sie schränke sich deswegen nicht ein und müsse deshalb auf keinen Restaurantbesuch verzichten. Das müsste ich auch nicht.

Letzte Woche bin ich wieder an so einem Menschen vorbeigekommen. Angelehnt an einer Hauswand in der Innenstadt saß dieser Mann, dick eingepackt, eine alte Wolldecke über den Beinen. Vor ihm ein Pappschild: Ich habe Hunger! Ich war spät dran wie immer, hatte es eilig und bin vorbeigelaufen. Doch sein Bild und dieses Schild vor ihm gingen mir lange nicht aus dem Sinn. Und irgendwie fühlte sich das mies an. Wenn er morgen wieder dasitzt, dachte ich, dann wirst du dir dreißig Sekunden Zeit und etwas Geld in die Hand nehmen. Denn letztlich ist es so, wie Valerie Schönian es so kurz wie treffend beschreibt: „Da bittet ein Mensch um Hilfe. Und deswegen hilft man ihm.“

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