SWR2 Wort zum Tag

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„Hirten, die keine Hirten sind, die für sich selber sorgen, nicht für die Schafe“ (Lektionar zum Stundenbuch, I/8, 169), darüber klagen schon die Propheten Israels. „Hirte“ ist einer der ältesten Berufe, die es auf der Erde gibt. „Hirten“ sind nicht nur Tierhüter, sondern Menschen, die Verantwortung haben im Zusammenleben, gleich an welchem Ort und in welcher Zeit, in Familien, Schulen, in Heilberufen, in Vereinen, Firmen, Behörden, in den Medien, im kulturellen, im kirchlichen Leben, in politischen Parteien und staatlichen Organen. Wenn sie vor allem für sich selber sorgen, dann zerstören sie das, was sie aufbauen sollten, sie tragen Verantwortung dafür, wenn Menschen ihre Hoffnungen begraben, ihre Lebenskraft verlieren, krank werden oder blind mit Hass und Gewalt reagieren.
Im Evangelium spricht auch Jesus von Hirten, die keine sind. Dabei greift er auf Worte des Propheten Ezechiel zurück und wird konkret. „Wehe euch. … Das Schwache habt ihr nicht gestärkt, das Kranke nicht geheilt, das Verletzte nicht verbunden, das Verirrte nicht gesucht.“ Und er nimmt die Verheißung des Propheten Ezechiel auf, die lautet: ‚Gott wird seinem Volk gute Hirten erwecken’. Guter Hirte sein, das versteht Jesus als Auftrag an sich selbst - und diesen Auftrag gibt er an alle weiter, nicht nur an einige wenige in besonderen Stellungen. Niemand soll darauf warten, dass etwas von oben geschieht. Vielmehr sollen alle erkennen, wozu sie selbst in der Lage sind, um anderen aufzuhelfen. Uns alle stellt Jesus von Nazareth vor diese Herausforderung: Wir können das Unsere dazu beitragen, dass Stumme reden dürfen, Blinde sehen können, Lahme wieder gehen und Fremde und Andersgläubige unter uns leben können.
Aber wie sollten wir dazu in der Lage sein? Wenn wir den einen beizustehen versuchen, haben wir keine Zeit, keine Aufmerksamkeit für andere! Manchmal erinnern wir uns an ein Gesicht, eine Bitte, einen sehr einsamen Menschen, Kinder, die uns brauchen –und traurig erkennen wir die Armut unserer Herzen. Die Last der Menschen – unsere eigene Last – ist zu groß: Wir kommen unserer Berufung nicht nach, Hirten zu sein füreinander! Da dürfen wir um Hilfe bitten. Eine solche Bitte habe ich bei Antoine de Saint Exupéry gefunden. In Erinnerung an die Geschichte vom heiligen Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte, betet er: „Herr, mein Mantel ist zu kurz. Ich befriedige die Bedürfnisse der einen und benachteilige dabei die anderen. Leih mir ein Stück von deinem Mantel, damit ich die Menschen mit der Last ihrer großen Sehnsucht darunter berge“. (Albert Höntges, Leih mir von deinem Mantel, in Christ in der Gegenwart, 53(2001), 137)

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