SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Wir haben keine Ahnung. Wir haben keine Ahnung was in Menschen vorgeht die schwerstkrank sind. Und wir haben auch keine Ahnung wie wir reagieren würden, wenn es uns träfe. A L S – zum Beispiel. Amyotrophe Lateralsklerose, eine furchtbare Krankheit, bei der nach und nach alles gelähmt wird (, sogar die Pupillen werden am Ende starr. Der Kranke sitzt dann im Rollstuhl und muss beatmet werden.) Bei solch schrecklichen Krankheiten denkt man sich, dass man so nicht mehr leben wollte. Denkt man. Aber die, die wirklich davon betroffen sind, denken nicht automatisch so. Die 49jährige Ursula B. zum Beispiel, sie hat ALS und ist mittlerweile fast völlig gelähmt. Durch eine sensationelle Technik der medizinischen Psychologen an der Uni Tübingen kann sie, obwohl sie nicht mehr sprechen kann, kommunizieren. Und zwar mit einer Art Gedankenlesegerät. Sie kann allein mit der Kraft ihrer Gedanken Sätze auf einen Computerbildschirm schreiben. Was nach Zauberei und Sciencefiction klingt entsteht aus Konzentration, Hirnströmen und Computertechnik. Und was erfährt man von der völlig gelähmten Frau? Dass sie ihren Mann liebt, der zu ihr steht, dass sie die Zeitung lesen möchte, dass sie es absurd findet, wenn die Menschen mit ihr reden als sei sie ein Baby oder schwerhörig. Dass sie wütend wird, wenn ihr Pflegepersonal angesprochen wird und nicht sie. Dass sie nicht früher sterben will durch Verhungern oder Verdursten, weil das nicht human sei. Und dass sie Patientenverfügungen kritisch sieht, weil die in Zeiten geschrieben werden in denen die Menschen gesund sind. Krankheiten aber, vor allem schwere Krankheiten, verändern die Perspektive, lässt sie uns wissen. Da wird aus wenig plötzlich viel. Innerlich fühle ich mich vollkommen, sagt die äußerlich völlig starre Frau. Und schreibt nach langer Anstrengung, allein durch Kraft ihrer Gedanken diesen Satz auf den Computer: „Leben ist immer spannend, lebenswert und sinnvoll“.
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