SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Weihnachten ist vorbei. Der Alltag hat uns wieder. Die Botschaft von Weihnachten ist verhallt. Der Evangelist Lukas hat mit ihr den Menschen auf Erden Frieden gewünscht. Auch der Welttag des Friedens an Neujahr ist vorbei. Papst Franziskus beklagt immer wieder, wie sehr Krieg und Gewalt unsere Welt zerstören, wie viele Kinder vor allem darunter leiden. Ein Skandal im Blick auf das Kind in der Krippe, das wir an Weihnachten feiern.

Wir hier in Deutschland leben seit 1945 ohne Krieg. Das ist wunderbar. Aber wie viele Kriege hat es seither in der Welt gegeben! Nach wie vor werden Unsummen ausgegeben, um Waffen zu produzieren, zu verkaufen und einzusetzen. Was für ein Wahnsinn! Zuerst wird ein Land wie Syrien zerbombt. Anschließend werden wir alle gebeten, es wieder aufzubauen. Mich erinnert das an kleine Kinder, die mit Bauklötzen einen Turm bauen, um ihn dann wieder einzustürzen. Dann fangen sie wieder an aufzubauen. Allerdings werden da weder Menschen umgebracht noch Wohnhäuser zerstört. Warum hat der Mensch einen solchen Hang zu zerstören?

Ein russischer Schriftsteller erzählt, wie er einmal sechs- bis siebenjährige Kinder beim Spiel beobachtet hat. „Was spielt ihr?“ hat er sie gefragt. „Wir spielen Krieg“, antworteten die Kinder. Darauf der Schriftsteller: „Wie kann man nur Krieg spielen! Ihr wisst doch sicher, wie schlimm Krieg ist. Ihr solltet lieber Frieden spielen.“ „Das ist eine gute Idee“, sagten die Kinder. Dann Schweigen, Beratung, Tuscheln, wieder Schweigen. Da trat ein Kind vor und fragte: „Großväterchen, wie spielt man Frieden?“

Ja, wie spielt man Frieden? Lernen die Kinder das heute? Für mich beginnt die Friedensarbeit immer im kleinen Bereich der Familie, der Gruppe, der Schule, der Kirche – überall wo Erziehung geleistet wird. Das wirkt sich dann auf die Gesellschaft aus, auf die Politik. Es ist wie mit dem Stein, der einmal ins Wasser geworfen seine Wellen ausbreitet.

Ich habe unlängst eine Broschüre der Friedensbewegung Pax Christi gelesen. In ihr werden 55 Beispiele in der Welt aufgezählt, wo kleine Initiativen begonnen und sich dann ausgebreitet haben. Sie zeigen, dass gewaltfreies Handeln auch politisch wirkt. Ich möchte drei davon aufgreifen.

Erstes Beispiel: Die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche breiten sich ab 1981 im ganzen Land aus. Der SED-Regierungschef wird zum Rücktritt gedrängt, es gibt freie Wahlen und schließlich fällt die Mauer. Die erste gewaltfreie Revolution in Deutschland ohne Blutvergießen.

Zweites Beispiel: Fünf israelische Frauen beginnen 2001, die Check-Points zu beobachten, an denen Palästinenserinnen kontrolliert werden. Manche beschimpfen sie als unpatriotisch. Inzwischen gehören einige Hundert Frauen dazu. Sie dokumentieren das Verhalten der Grenzposten und sorgen so für mehr Schutz der Bürgerrechte.

Drittes Beispiel: Christliche und muslimische Frauen haben von 2002 bis 2006 in Liberia Blockaden und Sitzstreiks organisiert. So haben sie die politisch verantwortlichen Männer dazu gebracht, über das Ende eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs zu verhandeln. Die erste demokratisch gewählte Frau eines afrikanischen Staates ist dann Staatspräsidentin geworden.

2. Teil

Ich spreche heute in den SWR 4-Sonntagsgedanken darüber, wie wichtig es ist, Frieden zu lernen. Als Jesus gefangen genommen wird, zieht Petrus das Schwert und will dazwischen gehen. Jesus sagt zu ihm: „Steck dein Schwert in die Scheide. Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen.“ Eine einfache Wahrheit! Konflikte können nicht durch Waffengewalt gelöst werden. Die christliche Botschaft lädt stattdessen zur Empathie ein, zum Sich-einfühlen-in-den-andern. Wenn ich mich einfühle in ihn, nehme ich ihm die Angst, sich vor mir verteidigen zu müssen. Ich baue eine Brücke zu ihm. So wird Begegnung möglich.

Das ist nicht einfach, vor allem, wenn eine oder gar beide Seiten verhärtet sind. Es braucht dann Menschen, die wie Udo Lindenberg singend einladen: „Komm, wir ziehen in den Frieden…Wir sind schlafende Riesen. Aber jetzt stehen wir auf. Lass sie ruhig sagen, dass wir Träumer sind. Am Ende werden wir gewinnen. Wir lassen diese Welt nicht untergehen. Komm, wir ziehen in den Frieden.“

Für mich ist es ermutigend, dass manche von einer Welt träumen, in der Menschen sich zu verstehen suchen, obwohl sie ganz verschieden sind. Darum ist es gut, dass es Menschen gibt, die vorwärts träumen wie Udo Lindenberg in seinem Lied „Komm, wir ziehen in den Frieden. Oder wie Martin Luther King mit seinem Friedenstraum „I have a dream“. Die weihnachtliche Friedensbotschaft ist für ihn nicht ein Appell gewesen, der verhallt. Er hat diese Botschaft gelebt. Das Beispiel des Jesus von Nazareth, auch für seine Gegner zu beten, hat Martin Luther King geprägt. So ist er auf die zugegangen, die ihn bekämpft haben. Er hat sie nicht vernichten wollen, sondern gewinnen. Dafür hat er wie Jesus mit seinem Leben bezahlt

Ich wünsche uns allen, dass wir in diesem Jahr 2019 jene einfache Wahrheit leben, die folgende Geschichte zeigt: Sonne und Sturm stritten um die Wette, wer die Kraft habe, einem Wanderer den Mantel abzunehmen. Der Sturm fing mächtig an zu blasen. Der Wanderer hüllte sich fester in seinen Mantel. Der Sturm blies noch kräftiger. Da kam die Sonne. Sie fing an, kräftig zu scheinen. Dem Wanderer wurde warm und er zog seinen Mantel aus.

Ja: Durch wärmendes Einfühlen in den anderen  erreichen wir mehr als durch Gewalt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27963
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