SWR4 Abendgedanken

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Gibt es mehr als zwei Geschlechter? Kann es das überhaupt geben? Wo doch in der Bibel steht, dass Gott am Beginn der Welt den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat.[1] Und man doch sieht, ob einer Mann oder Frau ist. Meistens zumindest.

Um dieses „meistens“ haben sich nun die Politiker angenommen und zum Jahresbeginn ein bestehendes Gesetz geändert. Das Personen-stands-gesetz. Darin wird geregelt, welche Merkmale eine Person charakterisieren: Geburt, Familienstand und eben auch das Geschlecht. Bisher stand dort m für männlich und w für weiblich. Seit 1.1. kann dort auch d stehen: divers. Für jene, die nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Und die gibt es eben auch. Das ist eine schlichte Tatsache, an der nicht zu rütteln ist. Kinder, die so auf die Welt kommen, mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen. Und Menschen, die im Laufe ihres Lebens - und oft unter großen  seelischen Schmerzen - merken, dass sie im falschen Körper stecken. Die Sandra heißen, sich aber fühlen als wären sie Thorsten. Oder umgekehrt.

Weil ich Personen kenne, auf die das zutrifft, weiß ich, wie schwer sie es haben. Sie werden belächelt oder abgelehnt. Hinter ihrem Rücken wird getuschelt und sie werden in eine der Schubladen gesteckt, die wir leicht finden, wenn etwas anders ist, als wir es kennen. Und immer wieder fällt das Wort „normal“. Oder eben „nicht normal“.

Christen tun gut daran, so ein Schubladendenken zu vermeiden. Weil Jesus es vermieden hat. Weil er die bestehenden Kategorien, in die Menschen sich einteilen, oft über den Haufen geworfen hat. Drei Beispiele dafür:

*Die Zolleintreiber seiner Zeit waren verschrien, weil sie geldgierig in die eigene Tasche gewirtschaftet und mit den römischen Besatzern gemeinsame Sache gemacht haben. Jesus ließ sich mit voller Absicht von einem von ihnen zum Essen einladen. *Juden verkehrten nicht mit den Samaritern. Prompt hat er ausdrücklich einen Samariter als Beispiel gewählt, um zu sagen, wie Gott denkt und handelt. *Blutsbande haben ihm nichts bedeutet. Nach Eltern und Geschwistern gefragt, sagte er: Die den Willen meines Vaters im Himmel tun, sind für mich wie Vater und Mutter und Bruder und Schwester[2].“

Auch zur Zeit Jesu hat es wohl Menschen gegeben, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau gefühlt haben. Mit Sicherheit haben sie es verheimlicht, so gut es ging. Oder sie wurden versteckt. Ich begrüße es, dass sie das heute nicht mehr tun müssen und unser Staat ihnen die gleichen Rechte gibt wie allen anderen. Das Bundesverfassungsgericht geht von 160.000 Personen aus, die das in Deutschland betrifft. Bis sie unter uns wirklich akzeptiert sind, müssen sie und wir noch etliche Hürden überwinden. Jesus würde ihnen dabei helfen. Davon bin ich überzeugt.

Thomas Steiger aus Tübingen von der Katholischen Kirche.



[1] vgl. Gen 1,27

[2] vgl. Mk 3,35

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27949
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