SWR2 Wort zum Tag

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„Nähe ist keine Frage der Entfernung!“ Dieser Satz springt mir derzeit an Bahnhöfen und Bushaltestellen auf Plakatwänden und Werbewänden ins Auge. „Nähe ist keine Frage der Entfernung!“ – das denke ich manchmal auch, wenn ich im Fernsehen Bilder sehe, die von Ereignissen berichten, die sich Tausende Kilometer entfernt zugetragen haben: Ein Lawinenunglück, die gefährliche Flucht übers Mittelmeer, ein großes Fest irgendwo auf einem anderen Kontinent.

Dass Nähe keine Frage der Entfernung ist, das wissen Menschen, die sich lieben, womöglich am besten. Mir gefällt dieser Satz. Er stammt von dem Lyriker Hermann Lahm, der die Gabe hat, mit kurzen Sätzen die Dinge auf den Punkt zu bringen.

Ein anderer, uns unbekannter Dichter, hat vor zweieinhalbtausend Jahren ein Lied geschrieben, einen biblischen Psalm. Er beschreibt dieselbe Erfahrung, wendet sie aber auf die Beziehung zu Gott. „Du verstehst meine Gedanken von ferne!“ (Psalm 139,2), heißt es da. Und weiter: „Flöge ich mit den Flügeln der Morgenröte an das fernste Meer – du wärst da!“ (Psalm 139,9) Gottes Nähe – eben keine Frage der Entfernung. Eher eine Frage ob ich bereit bin, diese Nähe zuzulassen und zu erfahren. Manchmal auch die schmerzliche Erfahrung, dass ich Gott nicht als nah erlebe – und das dennoch aushalten kann.

Nähe misst sich nicht in den Kilometern der Entfernung. Nah geblieben sind mir auch Freunde, obwohl sie schon viele Jahre in Kanada leben. Nähe kann auch die Intensität einer Beziehung meinen. Ich höre ein Lied. Und empfinde die Nähe zu einem Menschen, mit dem mich dieses Lied verbindet – obwohl ich nicht einmal weiß, wo er sich im Moment befindet. Mit der Erfahrung der Nähe Gottes verhält es sich manchmal ganz ähnlich. Ein Gedanke. Ein Wort, das mich mitten ins Herz trifft und mir guttut. Das Gefühl, mitten in allen Widrigkeiten des Lebens irgendwie geborgen zu sein. Dass Gott mir nahe ist, bedeutet nichts anderes, als dass es Orte und Momente gibt, an denen mein Glaube genährt wird, dass ich diesem Gott nicht gleichgültig bin. Anders gesagt: Die Nähe, die mich leben lässt, ist der Lebensraum Gottes. Jede Form von Nähe, die ich spüre, die Erfahrung von Nähe gerade auch in der Verbundenheit mit Menschen, die ganz weit entfernt sind, kann so zu einem Ort der Begegnung mit Gott werden.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27938
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