SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Dreimal versucht der Teufel Jesus, so berichtet es die Bibel. Eine Versuchung ist, sich von der Zinne des Tempels zu stürzen. „Bist du Gottes Sohn“, so stichelt der Teufel, dann kannst du dir das leisten, denn in der Bibel steht: „Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich auf Händen tragen“. Verführerisch, es allen zu zeigen, ein klarer Gottesbeweis, oder etwa nicht? Ein kleiner Sprung nur, und allen wäre klar, dass dieser Mensch Gott sein muss. Was könnte er sich dadurch alles ersparen: Die mühsamen Wege durch die Städte und Dörfer Israels, die lästigen Auseinandersetzungen mit Schriftgelehrten und Pharisäern, den Ärger selbst mit der eigenen Familie, die ihn für übergeschnappt hält, die vielen kranken und verzweifelten Menschen, die alle etwas von ihm wollen, die Aussätzigen und Zweifler, die gefallenen Frauen und die bockigen Jünger, mit denen er sich Tag für Tag auseinandersetzen muss und die, wenn es gut geht, in einer Sekunde begreifen, mit wem sie es zu tun haben, um es im nächsten Augenblick wieder zu vergessen.
Ein kleiner Sprung nur, und diese Umwege wären nicht nötig. „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab...“ Ich stelle mir vor, dass die Engel in diesem Augenblick den Atem angehalten haben. Ein kleiner Sprung nur, doch an diesem Sprung würden Himmel und Erde zerreißen. Denn dann gäbe es keine Hoffnung mehr für die sehnsüchtigen Menschen, für die Kranken und Zweifler, die Frauen und Männer, die auf der Suche sind nach Gott. Dann wäre Gott ein Zauberkünstler jenseits seiner Welt, ein himmlischer Kraftprotz, dem es genügt, sich von Engeln bedienen zu lassen. „Du sollst Gott nicht versuchen“ antwortet Jesus. Und bleibt damit sich und Gott treu, der ein Gott der Liebe ist, und die Liebe beweist sich nicht dadurch, dass sie sich von Tempelzinnen stürzt, sondern dadurch, dass sie den mühsamen, den steinigen Weg der Geliebten mitgeht, durch Krankheit und Schmerz, durch Ablehnung und Unverständnis hindurch, einen Weg, der, immer, zum Tod führt.
„Bist du Gottes Sohn, so steige vom Kreuz herab, dann wollen wir glauben“ muss Jesus am Ende seines Lebens am Kreuz hören, schreckliche Wiederholung der teuflischen Versuchung. Jesus ist den Weg tatsächlich bis zum Ende weitergegangen, hat sich lieber selbst zerreißen lassen, als Himmel und Erde zerreißen zu lassen. An dieser hartnäckigen Liebe sind Tod und Teufel letztlich gescheitert.
Weil er das getan hat, darf ich daran glauben, dass er auch in diesem Jahr die Wege seiner Menschen mitgeht, auch meine Wege. Die mühsamen und die steinigen, aber auch die schönen, die eine wunderbare Aussicht bieten. Ganz sicher werde ich meinen Fuß an manchem Stein stoßen, doch ich werde keinen Schritt tun, bei dem ich nicht umgeben bin von seiner Liebe. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2781
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