SWR2 Wort zum Tag

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Wenn man älter wird, soll man angeblich milder, weiser und friedlicher werden. Und wenn man zeit seines Lebens religiös war, dann werde man „frömmer“. So habe ich das öfter gehört.

An mir beobachte ich das eher nicht. Und an anderen in meinem Alter oder älteren, auch nicht. Milder, weiser, friedlicher, frömmer beim älter werden?  Ich habe eher den Eindruck, ich werde unruhiger. Skeptischer. Auch pessimistischer, was die Zukunft angeht: sind wir Menschen klug genug, die ernsten Probleme auf unserer Erde wirklich anzupacken? Oder sind wir zu bequem, um radikal das zu tun, was notwendig wäre. Für Frieden, für die Erde. Für die Generation nach uns. Und frömmer? Den Glauben an Gott verliere ich nicht. Aber direkt frömmer werde ich wohl auch nicht.

Aber die Bilder, mit denen ich an Gott glaube. Die haben sich verändert. Vielleicht war für mich Gott früher machtvoller. Heute denke ich bei „Gott“, an das hilflose Kind in der Krippe und an Jesus am Kreuz.

In beiden Bildern ist Gott nicht großmächtig. Er kann die Welt nicht mal eben kurz gerade richten. Das kleine Kind in der Krippe, dieser Gott ist verletzbar. Wie Liebe. Vielleicht mit einem Unterschied: unsere menschliche Liebe, wenn sie zu oft verletzt wird, kann ganz sterben. Von Gott, der wie ein Kind in unserer Welt ist, vom dem hoffe ich, dass er/sie nie aufhört zu lieben. Dass seine Liebe ewig ist. Aber die Macht dieses kleinen Gottes ändert die Welt nicht sichtbar. Mit Pauken und Trompeten, jetzt sofort. Dieser Gott braucht anscheinend Verbündete. Menschen, die sich von ihm erwärmen lassen, und selbst lieben, damit es auf der Welt besser wird. Ob es genug davon gibt?

Nein, wenn man älter wird, wird man nicht automatisch milder, optimistischer oder frömmer.
Darum brauche ich jedenfalls die Begegnung mit jungen Menschen. Das spüre ich in letzter Zeit wohltuend. Viele Junge sind noch nicht so erfahrungsdunkel. Im Gegenteil, sie können meine Eintrübung sogar aufhellen. Vielleicht nicht so, dass ich dabei selbst wieder hell werde. Aber doch so: dass ich damit gut leben kann, wenn ich sehe, die Jungen übernehmen. Mit ihrer Kraft, mit ihrer Zuversicht, mit ihrem Glauben. Die Jungen haben den Mut, Kinder zu bekommen. Sie haben neue Ideen. Sie haben Geist und Liebe, die Welt auch auf den Kopf zu stellen. Und vielleicht gründlicher, als ich glauben kann. Aber ich glaube, dabei haben die Jungen Gottes Hilfe.
Als Älterer sollte ich sie dabei nicht bremsen, sondern ihnen zur Seite stehen, so unruhig und so fromm ich sein kann.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27787
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