SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Morgen zünde ich sie wieder an. Die zweite Kerze am Kranz und abends ein weiteres Licht. Für Ingo, meinen Bruder, der vor 33 Jahren gestorben ist. „Kannst Du Dir das vorstellen, so lange her“, meint meine Mama. Und wir weinen ein wenig. Jedes Jahr steht er wieder vor Augen, dieser graue Novemberabend. „Haben Sie einen Sohn, blonde Locken, blaue Jacke?“ Die Unfallnachricht. Unfassbar - für uns Geschwister, plötzlich waren wir nur noch zwei – und vor allem für meine Eltern.

Der Schmerz, die Wunde vernarbt, aber sie verheilt nicht. „Ein Kind zu verlieren ist das Schlimmste“, sagt nicht nur mein Vater. Jedes Jahr verlieren hierzulande 20.000 Eltern ihr Kind. Totgeboren, früh gestorben oder wie mein Bruder mit 20 Jahren. Warum, warum nur, mein Gott? Wie oft habe ich das gefragt.

Fragen, schreien, Gott anschreien, schweigen oder den Schmerz teilen. Das tut gut und eben das tun Menschen morgen am Weltgedenktag für verstorbene Kinder in vielen Veranstaltungen. Um neunzehn Uhr werden in aller Welt Kerzen ins Fenster gestellt. Eine Lichterkette, die um den Globus läuft. „Weißt Du noch“, fragt meine Mutter, „wie Ingo immer gelacht hat?“ Ja, er war der Strahlendste von uns allen. Und er wird mit den Engeln endlich singen und tanzen, gehörlos wie er war. Es ist schön, sich das vorzustellen und sich zu erinnern. Er lebt weiter, himmelweit. His light will shine on.

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