SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich mache einen Novemberspaziergang an der Donau entlang. Nach einigen Kilometern bin ich auf einer Brücke angekommen und schaue lange ins klare, ruhige Wasser. Und während ich mich ans Geländer lehne versinken meine Gedanken irgendwo da unten.

Ich nehme ganz unterschiedliche Ebenen wahr: Ganz unten auf dem Flussgrund liegen bemooste Steine. Darüber fließt träge das Wasser der Donau. Wenn oben drauf keine welken Blätter schwimmen würden, könnte man meinen, dass es still steht. Und dann noch eine Ebene: die Luft zwischen der Wasseroberfläche und mir - ein Schwarm kleiner Mücken schwirrt dort in der Herbstsonne.

Und dann höre ich noch genau hin – noch eine Ebene. Es zwitschert ein Vogel, irgendwo gluckert Wasser und ein LKW donnert vorbei, oben auf der Straße. Von wo nach wo er wohl unterwegs ist? Ob da jemand auf den Fahrer wartet? Wie geht es ihm gerade? Der Fernfahrer streift für kurze Zeit meine Wirklichkeit, dann verhallt das Dröhnen.

Auch meinen Körper nehme ich wahr: Die Sonne wärmt mich angenehm von vorne, aber von hinten zieht die Novemberkälte den Rücken hoch.

Und dann entdecke ich eine weitere Ebene. Im Wasser der Donau spiegelt sich der blaue Himmel. Es wäre mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, aber ein Flugzeug hat hoch oben zwei Kondensstreifen hinter sich her gemalt. Die mischen sich jetzt in das Bild von den bemoosten Steinen am Grund, vom klaren Wasser mit den bunten Blättern drauf. Jetzt, wo ich das Spiegelbild einmal entdeckt habe, lässt es mich nicht mehr los. Ich muss dauernd hinsehen.

Ich denke über die verschiedenen Ebenen nach. Bei mir gibt es eine berufliche und eine private. Es gibt aber auch eine körperliche und eine seelische, dazu meine Gefühlswelt. Und die kreuzen sich auch noch ständig mit den Welten anderer Menschen. Um meinen Zustand zu beschreiben, muss ich all das in Betracht ziehen. Erfüllt mich mein Beruf? Habe ich genügend Freizeit oder bin ich müde und ausgepowert? Was tut mir gut, welche Themen interessieren mich? Und wie komme ich mit den Menschen um mich herum klar?

Ich bin überzeugt, dass über diesen vielen Wirklichkeiten noch eine weitere Ebene schwebt. Vielleicht so wie der Himmel, der sich im Donauwasser spiegelt. Diese Ebene kann ich oft nur schemenhaft und indirekt wahrnehmen, aber sie ist da, wie eingewoben in meine Welt.

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