SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ich suche häufig meine Schlüssel: den Haustürschlüssel, den Autoschlüssel und manchmal auch die Büroschlüssel. Jedes Mal bringt mich das ins Schwitzen und anschließend in Stress.

Aber es ist natürlich auch das gute Gefühl: ich habe die Schlüssel in der Hand. Ich habe die Macht, auf- und zuzuschließen und es gibt mir Sicherheit: wie oft habe ich ein zweites Mal kontrolliert, ob ich wirklich abgeschlossen habe.

Im Sommer war ich mit einer Gruppe auf der Insel Wangerooge. Dort hatte die Gemeinde ein Haus neu hergerichtet, um Gruppen aufzunehmen. Wir waren die ersten, die dort übernachten durfte.

Wir hatten schon mit einigem Unfertigen gerechnet, aber nicht damit:

Die Dame, die uns in Empfang nahm, sagte: „wir haben noch keine Schlösser. Deshalb gib es keinen Haustürschlüssel und auch keine Zimmerschlüssel.

Viele aus unserer Gruppe zuckten zusammen: „keinen Schlüssel?“ „Nein, keinen Schlüssel, aber machen Sie sich keine Sorgen,  auf der Insel kommt nichts weg.“ – so beruhigte uns die Dame.

Mit dieser Botschaft gingen wir  alle in unsere Zimmer. Und mit der Sorge: wo tue ich mein Portemonnaie, meine Handtasche hin, wo meinen Fotoapparat und mein Handy? Wer kann alles in dieses Haus gehen?

Die erste Nacht und der erste Tag waren für einige von uns stressig und unruhig.  Dann akzeptierten alle nach und nach die Situation – ändern konnten wir sie nicht. Am Ende der Woche waren die fehlenden Schlüssel kein Thema mehr.

Ganz im Gegenteil :

Ich habe es nach dem ersten Schreck als sehr befreiend und entlastend empfunden in dieser Woche keinen Schlüssel suchen zu müssen und  mich um keinen Schlüssel kümmern zu müssen. Alle Türen waren offen, nie gab es für mich die Frage: hast Du an deinen Schlüssel gedacht?

Wir sind nach der Woche mit all unserem Hab und Gut wieder nach Hause gefahren – nichts war uns abhanden gekommen.

Mich hat diese Erfahrung noch länger beschäftigt:

Natürlich schließe ich zuhause wieder meine Haustür und mein Auto ab.

Aber mir ist viel präsenter, wieviel Sorge, wieviel Ängste ich um meinen Besitz und um meine Sicherheit habe.

Diese ungewollte Vertrauensübung auf der Insel lässt mich freier und auch unbeschwerter durch den Alltag gehen. Auf – und zuschließen zu können ist ein gutes Gefühl – aber ich bin wesentlich gelassener geworden bei der Frage: habe ich auch sicher alles abgeschlossen?

Meine Sicherheit und mein Schutz hängen nicht nur von einem Schlüssel ab, ebenso wichtig sind mein Vertrauen und meine Gelassenheit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27646
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